Sündenpfuhl BrüsselDie Skandale der EU-Parlamentarier
Kokain, Alkohol, Mobbing und Korruption – die Parlamentarier der Europäischen Union lassen keinen Skandal aus. Ein Überblick.
Am 22. Mai wählen die Bürger von 28 Staaten der Europäischen Union insgesamt 751 EU-Parlamentsabgeordnete. Diese sollen die Interessen von 507 Millionen Menschen vertreten. Doch wer denkt, dass diese Volksvertreter in Brüssel, Strassburg und Luxemburg sich lediglich mit Gesetzesvorlagen herumschlagen und Paragraphen reiten, irrt. Die Abgeordneten zeigen immer wieder, dass auch sie nur Menschen sind und es teilweise faustdick hinter den Ohren haben: Von Kokain und Alkohol über Pädophilie und Bestechlichkeit zu Mobbing und Neonazi-Gedankengut – 20 Minuten hat einige saftige Skandale und die dazugehörenden Parlamentarier dazu ausgegraben.
Der koksende Parlamentarier
Im Februar 2013 baute der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Alvaro einen Autounfall. Der deutsche FDP-Politiker prallte auf der Autobahn zwischen Burscheid und Leverkusen gegen ein Auto, das quer auf der Fahrbahn stand. Der 21-jährige Fahrer des Wagens starb, seine zwei Beifahrer wurden schwer verletzt.
Bei den Ermittlungen stellte sich heraus: Der EU-Parlamentarier war mit seinem Audi A8 mit 180 statt der erlaubten 110 Kilometer pro Stunde unterwegs gewesen. Alvaro soll ausserdem zum Zeitpunkt des Unfalls Kokain im Blut gehabt haben.
Anfang April erhob die Staatsanwaltschaft Köln Anklage gegen Alvaro. Im Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Haft wegen fahrlässiger Tötung.
Die mobbende Parlamentarierin
Die griechische EU-Parlaments-Vize-Präsidentin, Anni Podimata soll eine Mitarbeiterin jahrelang gemobbt haben. Die Angestellte gab an, «schikaniert und systematisch verunglimpft» worden zu sein. Im September 2010 soll einem Bericht der «Bild»-Zeitung zufolge Podimata die Mitarbeiterin sogar in eine niedrigere Besoldungsgruppe «degradiert» haben.
Das liess sich das Mobbing-Opfer nicht gefallen – doch als die Frau bei der entsprechenden Stelle Hilfe suchte, wurde sie entlassen. Am 12. Dezember 2013 warf ein EU-Gerichtshof in Luxemburg dem EU-Parlament komplettes Versagen vor und verurteilte es dazu, dem Opfer 50'000 Euro zu bezahlen und die Frau wieder einzustellen.
Der ausfällige Parlamentarier
Ende Februar soll der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Jacek Protasiewicz am Frankfurter Flughafen betrunken zwei Zollmitarbeiter beschimpft haben. Der Pole soll die Beamten als «Hitler» und «Nazi» bezeichnet und «Heil Hitler» gerufen haben.
Der Politiker wies die Vorwürfe zurück. Dennoch wurde gegen den 46-Jährigen Anzeige wegen Beleidigung erstattet.
Der trinkfreudige Parlamentarier
Anfang Februar veröffentlichte «Der Spiegel» einen Artikel, der Gerüchte über die angeblich exzessiven Trinkgewohnheiten des Luxemburgers Jean-Claude Juncker aufwärmte. Dieser gilt als Spitzenkandidat für die Konservativen bei der Europawahl.
In einem Interview mit dem «ZDF heute Journal» dementierte Juncker am 3. Februar: «Ich habe kein Alkoholproblem! Es reicht jetzt! Ich möchte Kommissionspräsident werden, man sollte sich mit den inhaltlichen Vorschlägen beschäftigen, die ich machen will - und mich mit Dingen, die nicht stimmen, in Ruhe lassen.»
Der pädophile Parlamentarier
Ende April 2013 liess das Büro von EU-Parlamentarier Daniel Cohn-Bendit Pressematerial bis zum Jahr 2031 mit der Überschrift «Pressekampagnen gegen Daniel Cohn-Bendit» sperren. In diversen Artikeln war dem deutschen Politiker sexueller Übergriff an Kindern vorgeworfen worden. Cohn-Bendit hatte in den 1970er Jahren in seinem Buch «Der grosse Basar» geschildert, wie kleine Mädchen ihn im Hosenstall streichelten.
In einer Talkshow im französischen Fernsehen hatte er sich 1982 zum Thema «Sex mit Kindern» folgendermassen geäussert. «Die Sexualität eines Kindes ist etwas Fantastisches. Man muss aufrichtig sein, seriös, mit den ganz Kleinen ist es etwas anderes. (...) Wissen Sie, wenn ein kleines fünfeinhalbjähriges Mädchen beginnt sich auszuziehen, ist das fantastisch. Es ist fantastisch, weil es ein Spiel ist, ein wahnsinnig erotisches Spiel.»
Darüber hinaus gab es mehrere Pädophilen-Äusserungen in dem Magazin «Pflasterstrand» unter der Aufsicht Cohn-Bendits, der, wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schreibt, die «presserechtliche Verantwortung» trug.
Cohn-Bendits Aussagen wurden nie strafrechtlich verfolgt, doch deren Schatten wird der Politiker wohl nicht mehr ganz loswerden.
Der ungeschickte Parlamentarier
Ausgerechnet vor der Knesset, dem israelischen Parlament, erzählte vergangenen Februar der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz auf Deutsch den Abgeordneten von einer Begegnung mit jungen Palästinensern, die ihn gefragt hätten, warum ein Israeli täglich viermal mehr Wasser verbrauchen dürfe als ein Palästinenser.
Parlamentarier der rechten Siedlerpartei von Wirtschaftsminister Naftali Bennett riefen «Schande» und verliessen unter Protest den Saal. Schulz selbst reagierte mit Humor auf den Tumult. Er hätte sich auch gewundert, sagte er, wenn er mit seiner Rede keinerlei Reaktionen hervorgerufen hätte. «Im EU-Parlament ist das übrigens noch schlimmer», sagte er am Schluss.
Der prassende Parlamentarier
Gegen denselben Martin Schulz liegen diverse Vetternwirtschafts-Vorwürfe vor: Der Haushalts-Kontrollausschuss der EU warf im März dem Deutschen vor, fünf seiner engsten Mitarbeiter – Markus Winkler, Herwig Kaiser, Maria José Martinez Iglesias, Alexandre Stutzmann, Lorenzo Mannelli – mit lukrativen Posten versorgt zu haben (180'000 bis über 200'000 Euro Lohn pro Jahr). Ein Sprecher von Schulz bestritt die Anschuldigungen. Er bestand darauf, dass die Mitarbeiter-Beförderungen fair und mit Zustimmung anderer hochrangiger Abgeordneten erfolgt waren.
Ausserdem soll Martin Schulz die EU-Verwaltung für seinen Wahlkampf missbraucht haben – das zumindest behauptet Nigel Farage von der britischen UKIP. «Martin Schulz' Abschiedsgeschenk an das Europäische Parlament ist privilegierte Vetternwirtschaft der krassesten Art», kritisierte der Brite die Personalpolitik des Deutschen. In der Folge will die britische Labour-Party Schulz bei der kommenden Wahl nicht mehr unterstützen. Auch die Konservativen der EVP und die Grünen-Fraktion zogen sich zurück.
Der bestechliche Parlamentarier
Im Oktober 2012 wurde EU-Gesundheitskommissar John Dalli von EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso entlassen. Grund waren die Ermittlungsergebnisse der Antibetrugsbehörde der EU (OLAF). Diese warf Dalli Folgendes vor: Im Mai 2012 beschuldigte der schwedische Tabak- und Streichholzkonzern Swedish Match den Gesundheitskommissar Dalli, das Unternehmen erpresst zu haben. Gegen viel Geld habe ein Mittelsmann in Aussicht gestellt, die Verschärfung der Tabakrichtlinie im Sinne von Swedish Match beeinflussen zu können. Dabei ging es vor allem um das rauchfreie Tabakprodukt «Snus», das von Swedish Match in Schweden vertrieben, aber nicht in andere EU-Länder exportiert werden darf.
Die Antibetrugsbehörde der EU konnte zwar keine direkte Beteiligung des EU-Kommissars nachweisen – Dalli soll aber von dem illegalen Angebot gewusst haben. Dalli bestreitet die Vorwürfe bis heute. Ihm zufolge war er das Opfer einer Falle der Tabaklobby geworden.
Und noch mehr korrupte Parlamentarier
Ein weiterer Europa-Abgeordneter, Adrian Severin, wurde von Journalisten der «Sunday Times» dabei gefilmt, wie er zustimmte, gegen Bargeld auf die Gesetzgebung einzuwirken.
Kein unbeschriebenes Blatt ist auch der ehemalige EU-Parlamentarier George Becali. Der Rumäne und Eigentümer des Fussballklubs Steaua Bukarest wurde 2009 ins Europaparlament gewählt, obwohl er in mehreren halbseidenen Geschäften involviert war. Ihm wurden unter anderem Dokumentenfälschung und Zahlung von Bestechungsgeldern vorgeworfen. Um sich vor strafrechtlichen Ermittlungen zu schützen, wechselte er Ende 2012 von Brüssel ins rumänische Parlament.
Ganz konnte Becali dem Gesetzt nicht entkommen: Im Februar 2013 wurde er in Bukarest für eine Straftat aus dem Jahr 2009 verurteilt: Zusammen mit vier Leibwächtern hatte er die Diebe eines seiner Luxusautos misshandelt, statt sie der Polizei zu übergeben. Becali wurde wegen Freiheitsberaubung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Zu rumänischen EU-Abgeordneten soll abschliessend noch notiert werden: Die Frau des rumänischen Premiers Victor Ponta, die Frau des Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei (PNL) sowie die Tochter des rumänischen Präsidenten Traian Basescu dürften dieses Jahr gute Chancen auf eine Wiederwahl nach Brüssel haben.