Wollte Europa Snowden für die USA abfangen?

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Morales' Jet gestopptWollte Europa Snowden für die USA abfangen?

Die erzwungene Notlandung des bolivianischen Präsidentenjets in Wien wirft hohe Wellen. Doch Staatsflüge geniessen keine absolute Immunität – und Europa kontrolliert seinen Luftraum seit dem Skandal um CIA-Flüge besser.

von
kri

Evo Morales fliegt ab. (Video: Reuters)

Zu Beginn der Snowden-Affäre wurde gerätselt, ob die USA Kampfjets losschicken würden, um den Whistleblower auf seiner Flucht nach Lateinamerika abzufangen. Dann beschwichtigte Präsident Barack Obama, dass er genau dies nicht tun werde. Ahnte er schon, dass ihm befreundete Länder zuvorkommen würden? Frankreich, Spanien, Italien und Portugal haben in der Nacht auf Mittwoch der Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales die Überflugsrechte entzogen. Es bestand der Verdacht, dass der 30-jährige Flüchtling an Bord sei.

Ein Fall vorauseilenden Gehorsams? Nicht unbedingt, sagt Dr. Christian Tuschhoff, Dozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin: «Bei Verdacht auf illegale Aktivitäten kann ein Staat von seinen Hoheitsrechten Gebrauch machen.» Immerhin liege ein US-Haftbefehl gegen Snowden vor. Eine Regierung könne unabhängig von ihrer Haltung gegenüber dem Whistleblower entscheiden, ihren Luftraum nicht für dessen Flucht in einer Diplomaten-Maschine zur Verfügung zu stellen.

Erinnerung an «Extraordinary Renditions»

Ein internationaler Haftbefehl gegen Snowden liegt nicht vor, da Interpol sich traditionell aus Spionagevorwürfen heraushält. Polit-Experte Tuschhoff sieht aber noch einen anderen Grund für das übervorsichtige Vorgehen der vier Mittelmeer-Länder: «Seit dem Auffliegen der ‹Extraordinary Renditions› der damaligen Bush-Regierung sind die europäischen Regierungen sensibler geworden, was die Nutzung ihres Luftraums durch diplomatische Flugzeuge angeht.»

Der ehemalige Tessiner Ständerat Dick Marty war als Sonderbeauftragter des Europarats zum Schluss gekommen, dass die CIA hunderte illegale Gefangenen-Flüge in und über Europa durchgeführt hatte.

Präsidentenjets geniessen keine totale Immunität

In den Amtszimmern Lateinamerikas kochen die Emotionen wegen der erzwungenen Landung von Evo Morales hoch: «Die sind alle verrückt, ein Staatspräsident und sein Flugzeug geniessen totale Immunität», twitterte die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner. Gestützt auf das Abkommen über die internationale Zivilluftfahrt (Chicagoer Abkommen) aus dem Jahr 1944 kann ein Staat allerdings eine bereits erteilte «Diplomatic Clearance», also eine Überfluggenehmigung für Staatsflüge, wieder zurückziehen.

Im Fall der Schweiz, deren Luftraum von dem Flug nicht betroffen war, müsste laut Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) die Neutralität und die Souveränität des Landes in Gefahr sein. Die Diplomatic Clearance würde zudem Flügen verwehrt, die im Widerspruch zum Völkerrecht stehen oder die der unmittelbaren Vorbereitung oder Unterstützung von Kampfhandlungen dienen.

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