Brisante EnthüllungSteckt die Türkei hinter syrischem Giftgas-Angriff?
Für den Chemiewaffeneinsatz in Damaskus vom letzten August ist die Türkei verantwortlich. Das Ziel: Die USA zum Eingreifen zu zwingen. Das sagt ein Top-Investigativ-Journalist.
Der Artikel des Pulitzerpreisträgers Seymour Hersh schlug in Ankara ein wie eine Bombe: Der US-amerikanische Investigativ-Journalist behauptete darin, dass – «mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit» – die Türkei hinter den Giftgas-Angriffen vom 21. August 2013 in Ghouta, einem Vorort von Damaskus, steckt.
Journalist Hersh stützt seine Behauptung auf Aussagen eines ehemaligen hohen US-Geheimdienst-Mitarbeiters, dessen Name er nicht preisgibt. Demnach hätten US-Agenten herausgefunden, dass das Giftgas Sarin via die Türkei nach Syrien gelangt sei. Dort seien es Mitglieder der radikalislamischen Al-Nusra-Front gewesen, die die Chemiewaffen eingesetzt hätten, nachdem sie von Türken geschult worden seien.
Obamas Zögern in neuem Licht
Ziel der türkischen Regierung sei es gewesen, die USA zu einem Eingreifen in den Syrien-Konflikt zu zwingen. US-Präsident Barack Obama hatte im selben Jahr verkündet, der Einsatz von Chemiewaffen sei eine «rote Linie», die der syrische Präsident Baschar al-Assad nicht überschreiten dürfe.
Die Erkenntnisse des Geheimdiensts erklärten auch, warum Obama plötzlich gezögert habe, so Hersh weiter. Der US-Präsident hatte bekanntlich 2012 erst den Kongress um Einwilligung für eine Militäreinsatz in Syrien gebeten – anders als 2011, als er ohne parlamentarische Bewilligung eine Intervention in Libyen angeordnet hatte. Der Umweg über den Kongress führte schliesslich dazu, dass kein Militäreinsatz stattfand.
Geleaktes Treffen stützt Hershs Behauptung
Glaubwürdig erscheint die Geschichte des Journalisten Hersh vor dem Hintergrund eines kürzlich durchgesickerten Gesprächs von Ende März 2014, an dem unter anderem der türkische Aussenminister Ahmed Davutoglu und ein Geheimdienstmitarbeiter teilnahmen. Dabei soll ein inszenierter Angriff Syriens auf türkisches Territorium geplant worden sei, der ein Eingreifen der Türkei in den Konflikt im Nachbarland rechtfertigen sollte.
Auch die Reputation des mehrfach ausgezeichneten Journalisten spricht für ihn. Hersh hatte 1969 während des Vietnamkriegs das Massacker von My Lai aufgedeckt. 1970 erhielt er für diese Recherche den Pulitzer-Preis. Und im Jahr 2004 war er massgeblich daran beteiligt, den Folter-Skandal von Abu-Ghraib im Irak öffentlich zu machen.
Die türkische Regierung beeilte sich, die Behauptungen des Journalisten entschieden zurückzuweisen, wie «Hürriqet Daily News» schreibt. Ob es sich bei Hershs Artikel um eine Verschwörungstheorie handelt oder nicht, bleibt vorläufig unklar.