Riskanter SchachzugRussen vor der Wahl: Poulet oder Putin?
Die Russen haben Putin zum Fressen gern. Ob das angesichts der Importverbote für Nahrungsmittel aus dem Westen so bleibt, ist fraglich. Denn Liebe geht bekanntlich durch den Magen.

Schau mir in die Augen, Kleines: Der russische Präsident Wladimir Putin und ein einheimisches Küken.
«Wir haben lange gewartet, jetzt müssen wir auf die Sanktionen aus dem Westen antworten», sagte Ministerpräsident Dmitri Medwedew am Donnerstag. Die Antwort sieht so aus: Russland verhängt ein komplettes Embargo für Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, Fisch, Käse, Milch, Gemüse und Obst aus den USA und der EU sowie aus Australien, Kanada und Norwegen (weitere Beschlüsse siehe Infobox).
Mit der Verhängung dieser Sanktionen reagiert Präsident Wladimir Putin auf diejenigen aus dem Westen. Gleichzeitig inszeniert er sich damit vor seiner eigenen Bevölkerung als unbeugsamen Landesvater und starken Mann. Kurzfristig dürfte Putins Rechnung aufgehen: Seine bereits sehr hohen Popularitätswerte werden durch die Ankündigung der Sanktionen erneut steigen. Darauf deutet der massenhafte Boykott von westlichen Lebensmitteln am Vorabend hin.
Kurz- und langfristig ein guter Schachzug
Russland hat sich nicht völlig unvorbereitet zu diesen Strafmassnahmen entschieden. Längst hat es Gespräche über neue Nahrungsmitteleinfuhren aus anderen Ländern gegeben. Mehr Importe aus Brasilien für Fleisch, Geflügel und Milchprodukte sind bereits beschlossene Sache. Am Freitag führen die russischen Behörden ihre Verhandlungen mit der Türkei über Gemüse- und Früchteimporte weiter. Und am heutigen Donnerstag werden die Beratungen mit Ecuador, Brasilien, Chile und Argentinien über weitere Importe fortgesetzt, wie die russischsprachige «Vedomosti» schreibt.
Zudem dürfte Putin die bereits 2010 verkündete Förderung der inländischen Landwirtschaft auf seiner Prioritätenliste wieder ganz nach vorne schieben. Der einst florierende Sektor war in den vergangenen Jahrzehnten stark vernachlässigt worden. Gemäss einer Richtlinie der russischen Behörden aus dem Jahr 2010 muss Russland mindestens 85% des Inlandbedarfs an Fleisch und Fleischprodukten, 90% desjenigen an Milch und Milchprodukten, 80% desjenigen an Fisch und mindestens 95% desjenigen an Kartoffeln aus eigenem Anbau sicherstellen. 2012 (neuere Zahlen gibt es nicht) wurden diese Ziele laut «Vedemosti» nur bei den Kartoffeln erreicht.
Mit dem Einfädeln neuer Deals und der Förderung der Landwirtschaft könnte der angekündigte Importstopp also auch langfristig erfolgreich sein.
Erst kommt das Fressen, dann die Moral
Problematisch sind die mittelfristigen Auswirkungen. Denn der verhängte Importstopp hat mit grosser Wahrscheinlichkeit während einer gewissen Zeit einen Mangel der betroffenen Produkte zur Folge. Experten rechnen zudem mit einem Preisschub für heimische Produkte, wie die NZZ schreibt, selbst wenn Medwedew bei der Ankündigung der Sanktionen versprach, dies mittels Kontrollen zu verhindern. Eine solche Massnahme ist mit exorbitanten Kosten verbunden - Geld, das dann an anderen Stellen fehlt. Und nicht zuletzt müssten russische Firmen der betroffenen Branchen mit Verlusten rechnen.
Die russische Bevölkerung wird das alles schmerzhaft zu spüren bekommen, zumal sie jetzt schon mit einer Teuerung von 7,5 Prozent konfrontiert ist. Produktemangel, Preiserhöhungen, Pleiten - dass das an Putins Popularitätswerten spurlos vorübergeht, ist nicht anzunehmen. Mit anderen Worten: Wie lange die Russen ihren Putin noch zum Fressen gern haben, wird sich zeigen.
Überflüge über Russland
Die russische Regierung untersagt Transitflüge ukrainischer Fluggesellschaften über ihr Hoheitsgebiet.
Zudem erwägt Russland ein Überflugverbot für Fluggesellschaften aus den USA und der Europäischen Union auf dem Weg nach Asien.