Erstes FernsehduellRomney gelingt der Befreiungsschlag
Ein angriffiger Mitt Romney konnte in der ersten Fernsehdebatte mit Präsident Barack Obama punkten. Der US-Wahlkampf bleibt spannend.
Das Magazin «The Atlantic» spricht auf seiner Website vom «Fluch des Amtsinhabers». Wie manche seiner Vorgänger sei Präsident Barack Obama am Mittwoch «ein Opfer hoher Erwartungen, einer tiefen Reizschwelle und eines hungrigen Herausforderers» geworden. Die meisten US-Politbeobachter waren sich nach der ersten Fernsehdebatte einig: Der Republikaner Mitt Romney hat seine wohl letzte Chance genutzt.
Eine erste Nachdebatten-Umfrage von CNN ergab ein für den Präsidenten ernüchterndes Bild: 67 Prozent sahen den früheren Gouverneur von Massachusetts als Sieger, nur 25 Prozent den Amtsinhaber. Mitt Romney spielte seine ganze Debatten-Erfahrung aus den republikanischen Vorwahlen aus. Er wirkte nicht steif, sondern entspannt, war angriffig, aber nicht aggressiv. Und er war sattelfest bei den Fakten und brachte damit Barack Obama immer wieder in Bedrängnis, wenn er ihn auf seine durchzogene Bilanz behaftete.
Defensiv und genervt
Das Duell fand in einem neuen Format statt, und das hat ihm gut getan: Die Debatte verlief lebhafter als früher, die Kandidaten gingen direkt aufeinander ein, fielen sich sogar ins Wort. Moderator Jim Lehrer war damit teilweise überfordert. Auch Barack Obama kam schwer in die Gänge. Er wirkte anfangs defensiv und öfters genervt. Es war ersichtlich, dass er seit vier Jahren kein Rededuell mit einem politischen Gegner mehr bestritten hat.
«Man hatte den Eindruck, er wäre lieber woanders», meinte Bill Clintons ehemaliger Wahlkampfleiter James Carville auf CNN. Mit der Zeit steigerte sich Obama. Seine beste Phase hatte er, als es um den Sozialstaat ging. Dabei verwendete er ein Argument, das man aus den Diskussionen über das Schweizer Gesundheitswesen kennt: Der Plan von Romneys Vize Paul Ryan, die staatliche Senioren-Krankenkasse Medicare mit privaten Anbietern zu ergänzen, werde «zu einer Jagd auf gute Risiken führen».
Wo waren die «47 Prozent»?
Wirklich in Bedrängnis brachte er Romney aber nie. Auf Schwachpunkte des Republikaners ging Barack Obama nicht einmal ein, zum Erstaunen der Analysten. Weder erwähnte er das «47 Prozent»-Video, noch Bain Capital, und auch Romneys Versteckspiel mit seinen Steuerunterlagen war kein Thema. Die «Washington Post» vermutet, es habe sich um einen kalkulierten Entscheid von Obamas Wahlkampfteam gehandelt, weil diese Themen «nicht präsidial» wirkten und bereits «tief im Bewusstsein der Wähler verankert» seien.
Das Verständnis für diese Zurückhaltung hielt sich in engen Grenzen: «Romney neigt immer dann zu Fehlern, wenn er in Bedrängnis gerät», meinte CNN-Moderatorin Gloria Borger. Und auch die «Washington Post» befand, es schade nie, «Angriffe zu wiederholen, die bislang gewirkt haben». Das einzig Positive für den Präsidenten ist die Tatsache, dass es noch fast fünf Wochen sind bis zur Wahl. Und dass es noch zwei weitere Debatten gibt. Aber klar ist nach diesem missratenen Abend: Barack Obama muss sich steigern.
Was für ihn spricht: Der «Fluch des Amtsinhabers» muss nicht zu einer Wahlniederlage führen. Walter Mondale konnte 1984 das erste Duell mit Präsident Ronald Reagan für sich entscheiden. Er verlor die Wahl trotzdem haushoch. Und George W. Bush sah 2004 in der ersten Debatte mit John Kerry schlecht aus und wurde trotzdem wiedergewählt.