Streit im Südchinesischen Meer«Die schwerste Bedrohung seit dem 2. Weltkrieg»
Im Südchinesischen Meer tobt der Territorialstreit seit Jahrzehnten. Daran wird das Urteil des UN-Schiedsgerichts nichts ändern – im Gegenteil.
Im Südchinesischen Meer spielt sich seit Jahrzehnten auf kleinem Raum ein scheinbar regionaler Konflikt ab. Tatsächlich steckt in der Auseinandersetzung zwischen China, Vietnam, Malaysia, Taiwan und den Philippinen politischer und wirtschaftlicher Zündstoff, der sehr rasch globale Auswirkungen nach sich ziehen könnte.
Der UN-Schiedsgerichtshof hat heute über die Streitigkeiten zwischen China und den Philippinen geurteilt und wie erwartet den Ansprüchen Chinas nicht stattgegeben. China hat aber längst gesagt, dass es den Entscheid nicht anerkennen werde. Die wichtigsten Fragen und Aspekte zum Konflikt:
Die geografische Ausgangslage
Das Südchinesische Meer befindet sich zwischen China im Norden, Vietnam im Westen, Malaysia im Süden und Taiwan und den Philippinen im Osten. Darin befinden sich zahlreiche kleine Inseln, die von China und jeweils einem der anderen Länder beansprucht werden. China hat die sogenannte 9-Striche-Linie rund um das Meer gezogen und alle sich innerhalb dieses Gebietes befindenden Gebiete für sich beansprucht. Die Chinesen unterstrichen ihren Anspruch unter anderem, indem sie künstliche Inseln im Meer aufschütteten, um darum herum offizielle Wirtschaftszonen zu legitimieren.
Welchen Wert haben diese Inseln?
Die Inseln haben für alle beteiligten Staaten wirtschaftliche Bedeutung. Es geht dabei um Fischgründe, Rohstoffe und Handelsrouten. Die Strecke zwischen Singapur und Hongkong ist einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten des Welthandels. Die Philippinen sind vor allem am Fischfang interessiert und China hat bereits Probebohrungen durchgeführt um Erdölvorkommen zu erkunden. Durch die chinesischen Gebietsansprüche könnten die Philippinen einen Grossteil ihres Offshore-Gebiets verlieren, betont Antonio Carpio, Beisitzer am Obersten Gerichtshof der Philippinen: «Diese chinesische Aggression ist die schwerste externe Bedrohung der Philippinen seit dem Zweiten Weltkrieg.»
Zwischenfälle des Konflikts
Territoriale Streitigkeiten im Südchinesischen Meer gibt es seit den 1970er-Jahren, als China begann, seinen Anspruch auf das gesamte Gebiet durchzusetzen. Immer wieder gab es Zwischenfälle zwischen China und anderen Anrainerstaaten. 1984 etwa tötete die chinesische Marine über 70 Vietnamesen, die auf einem Riff ihre Flagge hissten. 2005 schlossen Ölfirmen aus China, Vietnam und den Philippinen einen Vertrag über die gemeinsame Erkundung des Seegebiets.
Nach 2012 spitzte sich die Lage mehr und mehr zu. Immer wieder kam es zu Zusammenstössen zwischen Fischerbooten und Marineschiffen verschiedener Parteien. Die damalige US-Aussenministerin Hillary Clinton erklärte die Region zum nationalen Interessengebiet und die USA kündigten an, bis 2020 60 Prozent ihrer Marine in den Pazifik zu verlegen.
Die Interessen der USA
Als China 2009 die 9-Striche-Linie einführte, rief das auch die USA auf den Plan. Die Amerikaner haben mit Blick auf das Südchinesische Meer nationale Interessen angemeldet. Dabei geht es primär um freie Schifffahrt aber auch um den Schutz ihrer asiatischen Bündnispartner, zu denen Taiwan und die Philippinen gehören. Mehrfach kam es schon zu kleineren Scharmützeln auf See, wenn die USA und China ihre Flotten im Raum des Südchinesischen Meers zu Übungen auffahren liessen. Die Einmischung der USA in den Konflikt hat die Spannungen erhöht und die Gefahr einer Eskalation vergrössert.
Die Entscheidung des UN-Schiedsgerichtshofes
Seit 2013 beriet der UN-Schiedsgerichtshof in Den Haag über die Lage im Südchinesischen Meer. Die Philippinen hatten den Gerichtshof angerufen und nun wie erwartet Recht bekommen. Die Richter haben die territorialen Ansprüche Chinas abgewiesen. Das Gericht hat dabei keine Zuweisungen gemacht, welches Land welche Gebiete für sich beanspruchen darf, sondern beurteilt, welche Art von Landstücken im Meer überhaupt beansprucht werden können. Riffe und Landstücke, die nur bei Ebbe über der Meeresoberfläche sind, können nicht als Territorium beansprucht werden. Felsen, die auch bei Flut aus dem Wasser ragen, erhalten einen 12-Meilen-Radius, und Inseln, auf denen Menschen leben könnten, erhalten einen 200-Seemeilen-Radius als Wirtschaftszone.
Wird das Urteil etwas ändern?
Das Urteil ist endgültig und bindend für China und die Philippinen. Doch Chinas Ankündigung, den Schiedsspruch zu ignorieren, sowie fehlende Möglichkeiten zur praktischen Durchsetzung schwächen die Wirkung ab. «Die endgültige Entscheidung des Schiedsverfahrens ist nicht mehr als ein Stück Papier», sagte Dai Bingguo, ehemaliger chinesischer Staatsrat. «Die Hoheit Chinas über die Inseln im Südchinesischen Meer im Rahmen der internationalen Nachkriegsordnung ist durch die UN-Charta und andere internationale Gesetze geschützt.»
Manila könnte auf internationaler Ebene darauf drängen, dass China den Schiedsspruch anerkennt – oder andernfalls Gefahr läuft, als Schurkenstaat zu gelten, was seinen politischen und wirtschaftlichen Ambitionen weltweit schadete. Durch das Urteil wird der Konflikt nach Expertenmeinung nicht nur nicht entschärft, im Gegenteil besteht die Gefahr, dass die Spannungen zwischen China und vor allem den USA in der Region weiter zunehmen – mit völlig ungewissen Konsequenzen. (ofi/sda/ap)