«Putin will ja auch keinen Krieg»

Publiziert

Russische Provokationen«Putin will ja auch keinen Krieg»

Der russische Präsident Wladimir Putin schickt Kriegsschiffe nach Australien und Panzer in die Ukraine. Was will er damit bezwecken? Wir fragen einen Russland-Experten.

Caroline Freigang
von
Caroline Freigang

Herr Perovic, Russland soll neue hochentwickelte Waffen in die Ukraine gebracht haben. Bedeutet dies eine neue Phase des Konflikts?

Jeronim Perovic: Russland wird sich davor hüten, in der Ukraine einen offenen Krieg zu führen. Ein solcher wäre auch in der russischen Bevölkerung höchst unpopulär. Offiziell unterstützt Russland nur die Russen in der Ostukraine. Diese gelten in der russischen Lesart nicht als Rebellen, Separatisten oder gar Terroristen, sondern sie gelten als Bürgerwehr, die nur die Menschen vor den «Faschisten» in Kiew schützt. Putin wird nicht zulassen, dass die Rebellen besiegt werden und wird diese deshalb weiterhin unterstützen.

Die Ukraine will laut dem ukrainischen Aussenminister Klimkin die Separatistengebiete nicht zurückerobern. Was bedeutet das?

Das ist reiner Pragmatismus. Der Aussenminister weiss, dass die Ukraine Russland unterlegen ist. Würde die ukrainische Armee in der Ostukraine in die Offensive gehen, würden die von Russland unterstützten Rebellen dies nur als Vorwand zum Gegenangriff und für neue Eroberungen nutzen. Vor allem werden sie versuchen, das gesamte Territorium zu erobern, das sie ihren Volksrepubliken zurechnen. Die Rebellen kontrollieren heute effektiv nur einen Teil ihrer Gebiete, auch der Flughafen von Donezk ist noch unter ukrainischer Kontrolle.

Nach der Abstimmung zur Abspaltung von der Ukraine: Wieso stehen die Volksrepubliken Donezk und Lugansk nicht bereits unter russischer Flagge, wie die Krim?

Die Krim ist ein Sonderfall. Der grösste Teil der Bevölkerung auf der Halbinsel ist russisch und die Krim gehörte auch historisch sehr lange zu Russland. Deshalb gab es dort auch von ukrainischer Seite kaum aktiven Widerstand gegen die Annektion. In der Ostukraine ist die Situation anders: Auch viele Russen und Russischsprachige fühlen sich durchaus auch als Bürger der Ukraine, sie wollen aber auch ihre russische Sprache und Kultur leben. Vor allem aber wollen die Menschen ein normales Leben führen – ohne Krieg. Viele haben in der Abstimmung über die Unabhängigkeit ihrer Republiken nicht unbedingt für Russland, sondern gegen Kiew gestimmt. Viele sind aber gar nicht zur Urne gegangen. Leider hat der Krieg Gräben in der Gesellschaft aufgetan, die so vorher nicht bestanden haben.

Was ist Putins Strategie in der Ukraine?

Putins Strategie war bis im letzten Jahr, die Ukraine als Ganzes in sein Projekt einer Eurasischen Union zu führen. Das hat nicht geklappt. Dafür macht er pauschal den Westen verantwortlich, der die ukrainische Regierung manipuliert habe. Nun geht er schrittweise vor und beurteilt die Situation praktisch von Tag zu Tag wieder neu. Wenn er die gesamte Ostukraine unter seine Kontrolle bringen kann, dann wird er das wohl tun. Seine taktischen Überlegungen hängen auch davon ab, wie sich die Gegenspieler verhalten.

Die UNO hat drei Szenarien skizziert: Die Rückkehr zu «ausgewachsenen Kämpfen», einen «eingefrorenen Krieg» und sporadische Kämpfe mit geringer Intensität. Wie schätzen Sie diese Szenarien ein?

Ich denke, ein eingefrorener Krieg ist leider eine realistische Vorstellung. Es könnte Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, bis eine Lösung gefunden wird. Putin denkt langfristig und hat Zeit. Für ihn ist es momentan nicht entscheidend, dass sich die Situation in der Ukraine in naher Zukunft löst. Putin weiss, dass die Nato in der Ukraine militärisch nicht eingreifen wird. Er ist aber auch an einer Normalisierung der Beziehungen zum Westen, vor allem zu Europa interessiert, daher ist er nicht daran interessiert, dass der Westen seine Sanktionen gegen Russland verschärft. Ansonsten hat er in der Ukraine relativ viel Handlungsspielraum.

Was sollen die jüngsten Provokationen in Australien, wo russische Kriegsschiffe aufgetaucht sind?

Putin demonstriert über verschiedene provozierende Aktionen seine Stärke und testet die Grenzen gegenüber dem Westen aus. Er ist sich bewusst, dass Russlands Militär den Armeen der Nato oder der USA weit unterlegen ist. Aber er will ja auch keinen Krieg, sondern es geht ihm darum zu zeigen, dass Russland immer noch eine wichtige Militärmacht ist, die regional grosse Bedeutung hat und zudem noch über Atombomben verfügt und mit seinem Sitz im UNO-Sicherheitsrat jede Entscheidung blockieren kann. Russland kann die Nato oder die USA nicht besiegen, aber Russland kann noch immer erheblichen Schaden anrichten. Länder wie Finnland zum Beispiel sind besorgt, weil die russischen Aktionen für grosse Unsicherheit in der Region sorgen und Investoren abschrecken. Das schadet dem Land wirtschaftlich. Gleichzeitig haben diese Machtdemonstrationen auch einen sehr pragmatischen Zweck: nämlich den Westen zum Einlenken in der Sanktionsfrage zu bewegen.

Was meinen Sie damit?

Die russische Wirtschaft ist wegen des niedrigen Ölpreises und des Rubelzerfalls bereits angeschlagen. Russland wird wohl erst mit diesen Machtdemonstrationen aufhören, wenn der Westen seine Sanktionen zurücknimmt.

Wer ist denn jetzt abhängiger von wem: der Westen von Russland, oder Russland vom Westen?

Wirtschaftliche Abhängigkeiten bestehen vor allem zwischen Russland und Europa, nicht zwischen Russland und den USA. Das ist wichtig zu bedenken, denn die wirtschaftlichen, aber auch sicherheitspolitischen Interessen Europas sind von denjenigen der USA mit Blick auf Russland verschieden. Gerade im Energiebereich sind Abhängigkeiten immer gegenseitig. Man kann aber sagen, dass Russland stärker von Europa abhängig ist als umgekehrt. Russlands Öl und Gas fliessen nur in eine Richtung: nämlich Richtung Westen. Das Land versucht zwar, den asiatischen Markt aufzubauen, dies wird aber noch lange Zeit dauern und nur eine Ergänzung zum Westgeschäft sein, kein Ersatz. Europa hingegen bezieht nur etwa 30 Prozent seines Öls und Gases aus Russland, den Rest aus anderen Regionen, beim Gas namentlich aus Ländern wie Norwegen und Algerien.

Wie wird sich die Situation mit Russland weiterentwickeln?

Derzeit verhält sich Russland unberechenbar. Niemand kann wissen, wie weit Putin noch gehen wird, oder was er als Nächstes macht. Deshalb ist es unbedingt nötig, Moskau wieder in einen internationalen Dialog um die politischen Prozesse einzubeziehen. Isoliert man Russland, ist das Land nur noch unberechenbarer, vielleicht sogar gefährlicher für den Westen.

Prof. Dr. Jeronim Perovic

Jeronim Perovic ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Universität Zürich.

Deine Meinung zählt