Millionen ohne StromNew York und Atlantic City unter Wasser
Megasturm «Sandy» hat an der US-Ostküste Flutwellen, heftige Winde und Überschwemmungen gebracht. Mindestens 13 Menschen verloren ihr Leben. Über drei Millionen sind noch ohne Strom.
Mit eindringlichen Warnungen haben die Behörden im Osten der USA Bewohner gefährdeter Gebiete vor dem drohenden Hurrikan Sandy zum Verlassen der Region aufgefordert. Die Zeit der Vorbereitung und des Redens sei praktisch abgelaufen, sagte der Leiter der Katastrophenschutzbehörde FEMA, Craig Fugate, am Sonntag. «Die Leute müssen jetzt handeln.» Experten zufolge könnte der befürchtete Megasturm in einem 1300 Kilometer breiten Streifen von der Ostküste bis zu den Grossen Seen Chaos anrichten.
Bedroht sind 50 Millionen Menschen in dem dicht besiedelten Gebiet. New York könnte demnach von einer 3,3 Meter hohen massiven Welle getroffen werden, die Teile Manhattans unter Wasser setzen würde. Bürgermeister Michael Bloomberg ordnete am Sonntag die Evakuierung niedrig liegender Stadtteile an. Wer sich nicht in Sicherheit bringe, gefährde nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das der Menschen, die dann zu Hilfe eilten, sagte Bloomberg. Der Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, sagte: «Seid nicht dumm. Haut ab.»
Von North Carolina im Süden bis Connecticut im Norden wurde der Ausnahmezustand verhängt. Fluggesellschaften strichen in dem Gebiet nach Angaben des Internetdienstes FlightAware bis Montag mehr als 7600 Flüge, auch viele Verbindungen von und nach Europa waren betroffen. Die Eisenbahngesellschaft Amtrak stellte den Passagierbetrieb im Nordosten der USA ein.
In New York, Philadelphia, Washington, Baltimore und Boston sollten am Montag die Schulen geschlossen bleiben. Notunterkünfte wurden geöffnet. Die New Yorker U-Bahn stellte am Sonntag den Verkehr ein, betriebsame Bahnhöfe wie die Central Station waren verwaist. Auch in Washington und Philadelphia war der U-Bahn-Verkehr stillgelegt. Der Parketthandel an der New Yorker Aktienbörse sollte am Montag ebenso wie an der Rohstoffbörse NYMEX geschlossen bleiben. Der elektronische Handel werde aber fortgesetzt, erklärten beide Börsen am Sonntag.
Telefonhotlines der Fluglinien überlastet
Auf den Bahnsteigen für Amtrak-Züge in der New Yorker Penn Station warten am Sonntagmorgen mindestens doppelt so viele Passagiere wie sonst. Viele versuchen, New York früher als geplant zu verlassen. Die Züge mittags und um 13 Uhr nach Boston sind ausgebucht. Randall Ross, ein Buchhändler aus Shreveport, Louisiana, und seine Reisegefährtin Mary McCombs, warten auf einen Zug nach Syracuse, mehrere hundert Kilometer nordwestlich im Staat New York. Dieses Ziel hatten sie gewählt, nachdem Versuche, Flüge in acht andere Städte zu buchen, gescheitert waren. «Ich will irgendwo anders sein als in New York», sagt McCombs. Sie will bei Freunden in Syracuse unterkommen, bis sie und Ross einen Flug bekommen. «Ich will nichts riskieren.»
Auf dem New Yorker Flughafen LaGuardia ist das Terminal der Fluggesellschaft American Airlines am Sonntag überfüllt. Familien sitzen auf dem Fussboden und warten auf einen Flug - irgendeinen Flug, Hauptsache: weg. Einige gehen nervös vor den Anzeigetafeln mit den gestrichenen Flügen auf und ab und hoffen, dass ihr eigener Flug nicht auch bald dazu gehören wird. Passagiere berichten von mehrstündigen Wartezeiten bei den telefonischen Hotlines der Fluggesellschaften.
«Sturm ernst nehmen»
US-Präsident Barack Obama besuchte am Sonntag die Katastrophenschutzbehörde in Washington und informierte sich über den Stand der Vorbereitungen. «Meine wichtigste Botschaft ist, dass alle (den Sturm) ernst nehmen müssen», sagte Obama. Die Menschen sollten den Anweisungen der örtlichen Behörden Folge leisten. Zugleich appellierte er an die Amerikaner, zusammenzurücken und sich gegenseitig zu helfen.
Trotz eindeutiger Warnungen der Behörden weigern sich einige Menschen dennoch, dem Sturm zu weichen. Jonas Clark aus Manchester Township in New Jersey - der Gegend, in der «Sandy» auf Land treffen soll - steht vor einem Supermarkt, trinkt eine Tasse Kaffee und fragt sich, warum sich alle Welt so verrückt macht. «Ich habe in meinem Leben eine Menge grosser Stürme gesehen, und man kann nichts machen, ausser vernünftige Vorsichtsmassnahmen zu ergreifen und das Ganze so gut es geht zu überstehen», sagt der 73-Jährige. «Die Natur macht, was sie macht. Es ist schön, dass es so viele Informationen darüber gibt, wie man sich und sein Zuhause schützen kann, aber letztlich läuft es doch nur darauf hinaus: Nutze deinen gesunden Menschenverstand.»
«Sandy» war in den vergangenen Tagen durch die Karibik gezogen und hatte mindestens 65 Menschen das Leben gekostet. Prognosen zufolge trifft der Hurrikan am Montagabend bei New Jersey auf Land. Am Sonntagabend (Ortszeit) lag der Sturm 750 Kilometer südöstlich von New York. Er gilt als besonders gefährlich, weil er sich auf Kollisionskurs mit zwei winterlichen Wetterfronten befindet. Befürchtet werden heftiger Wind, bis zu 30 Zentimeter Regen und bis zu 60 Zentimeter Schnee.
ABC NEWS zu Hurrikan Sandy
(YouTube/edricle) (kub/bee/sda/dapd)
Hier können Sie den Verlauf von «Sandy» verfolgen.
New Yorker Börse setzt Parketthandel aus
Der Börsenbetreiber NYSE Euronext hat entschieden, dass am Montag der Parketthandel ausgesetzt wird. Wertpapiere können stattdessen auf der elektronischen Handelsplattform Arca ge- und verkauft werden.
Die Entscheidung sei nach Gesprächen mit der Stadt, mit Finanzaufsehern sowie Händlern gefallen, erklärte Börsenchef Duncan Niederauer am Sonntag (Ortszeit) in New York. Unklar war zunächst, ob die Börse am Dienstag wieder normal öffnet. «Dies ist eine extrem gefährliche und unberechenbare Wetterlage», sagte Niederauer.
Wegen des Sturms fallen Züge, Busse, U-Bahnen und Fähren in und um New York City aus. Für die Händler würde es damit schwierig, zu ihrem Arbeitsplatz zu gelangen. Der an der Südspitze Manhattans gelegene Handelssaal befindet sich zudem nahe eines Gebiets, das am Sonntag vorsorglich evakuiert wurde.
Das letzte Mal war die Börse wegen eines Wirbelsturms 1985 geschlossen, damals war es Hurrikan «Gloria». Auch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stand der Handel an der berühmten Wall Street still. (sda)