«Sie intrigiert noch aus dem Sarg heraus»

Aktualisiert

Thatchers Beisetzung«Sie intrigiert noch aus dem Sarg heraus»

Die Kosten und das Ausmass der Beisetzung von Margaret Thatcher stossen in Grossbritannien auf scharfe Kritik. Der Hass auf die Ex-Premierministerin könnte in Krawalle ausarten.

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Am Montag im Morgengrauen probte das Militär die Trauerfeier für Margaret Thatcher in der St. Paul's Cathedral (hinten).

Am Montag im Morgengrauen probte das Militär die Trauerfeier für Margaret Thatcher in der St. Paul's Cathedral (hinten).

Sogar Big Ben soll den Klöppel halten. Die grosse Glocke im Uhrturm des Westminster Palace in London, in dem das britische Parlament tagt, wird am Mittwoch während der Trauerfeier für die verstorbene Ex-Premierministerin Margaret Thatcher verstummen, kündigte Parlamentssprecher John Bercow am Montag an. Big Ben, deren Schlag weltberühmt ist, hatte letztmals bei der Beisetzung von Winston Churchill 1965 geschwiegen. Die Abdankung des Kriegspremiers war ein Staatsbegräbnis.

Jene von Thatcher ist keines – zumindest offiziell. Dazu wäre ein Beschluss des Parlaments notwendig gewesen, und die mit 87 Jahren verstorbene Ikone der Konservativen hat selber keines gewünscht. In Tat und Wahrheit aber trägt die Zeremonie alle Züge eines Staatsakts: Der Sarg Thatchers wird auf einer Geschütz-Lafette vom Westminster Palace zur St. Paul's Cathedral gefahren. Rund 700 Angehörige der Streitkräfte werden der Feier einen militärischen Rahmen verleihen. Und nicht zuletzt nimmt Königin Elizabeth II. teil. Seit Churchills Tod hat sie nie mehr das Begräbnis eines britischen Politikers mit ihrer Anwesenheit beehrt.

Kritik an den Kosten

Besonders wohl scheint ihr nicht zu sein: Angeblich hat die Queen selber Bedenken geäussert wegen des «militärischen Pomps» für Margaret Thatcher, mit der sie ein eher kühles Verhältnis verband. Auch sonst nimmt die Kritik am De-facto-Staatsakt zu: Ausgerechnet der anglikanische Bischof von Thatchers Geburtsort Grantham nannte das Zeremoniell «einen Fehler». Angesichts der umstrittenen politischen Hinterlassenschaft Thatchers sei es geradezu eine Provokation, sie durch eine Feier mit Kosten von 10 Millionen Pfund (rund 14 Millionen Franken) zu «glorifizieren», sagte Tim Ellis der BBC.

Aus den Reihen der oppositionellen Labour-Partei, die anfangs der «Eisernen Lady» noch ihren Respekt bekundet hatte, sind ebenfalls immer mehr kritische Stimmen zu vernehmen. Mit der Gesundheitspolitikerin Diane Abbott ging erstmals ein Mitglied der Parteiführung auf Distanz: Die Beisetzung Thatchers verstosse «gegen jegliches Protokoll», sagte sie der BBC. Der Abgeordnete und Ex-Staatssekretär John Healey zog den Vergleich mit Winston Churchill: Dieser habe das Land geeint, «während Margaret Thatcher es spaltete».

Aufrufe zu Demos auf Facebook

Besonders hart ging der frühere Vize-Regierungschef John Prescott mit Thatcher ins Gericht: «Sie intrigiert noch aus dem Sarg heraus», schrieb er im «Sunday Mirror». Sie habe behauptet, sie wolle kein Staatsbegräbnis, «doch sie plante für sich das gleiche Zeremoniell wie für die Königinmutter». Oder für Prinzessin Diana. Doch während deren Tod 1997 eine kollektive Massentrauer auslöste, wird jener von Margaret Thatcher mit teilweise unverhohlener Freude quittiert. «Rust in Peace» (roste in Frieden) gehört noch zu den harmloseren Sprüchen an die Adresse der «Eisernen Lady».

Der zum Anti-Thatcher-Lied umfunktionierte Song «Ding, Dong! The Witch Is Dead» (Ding, Dong! Die Hex' ist tot) aus dem Musical «Der Zauberer von Oz» erreichte den zweiten Platz der britischen Hitparade. Am Sonntag demonstrierten rund 3000 Personen auf dem Trafalgar Square in London gegen die Politik Thatchers und die geplante Trauerfeier. Auch für den Mittwoch sind wieder Proteste geplant. Auf Facebook kursieren Aufrufe, während des Trauerzugs dem Sarg den Rücken zuzuwenden.

Grosses Polizeiaufgebot

Die Londoner Polizei befürchtet, dass es nicht dabei bleiben wird, erst recht seit dem Bombenanschlag auf den Boston Marathon vom Montag. Sie hat potenzielle Demonstranten bereits im Vorfeld gewarnt, dass jeder verhaftet werden könne, der unangenehm auffalle. Rund 3000 Polizisten wurde laut dem «Guardian» provisorisch der freie Tag am Mittwoch gestrichen, damit sie notfalls zur Sicherung der Feier eingesetzt werden können. Offensichtlich rechnet die Polizei mit Massenprotesten, die in Krawalle ausarten könnten.

Vermutlich nicht zu Unrecht, denn der Thatcher-Hass reicht bis in die eigenen Reihen. Am letzten Freitag musste ein Offizier der Londoner Polizei den Hut nehmen. Sergeant Jeremy Scott hat nach dem Tod der Ex-Regierungschefin anonym auf Twitter giftige Attacken veröffentlicht: «Die Welt ist jetzt ein besserer Ort, nachdem die F…e tot ist», schrieb er.

Nur die zweite Garde

Trotz des pompösen Rahmens wird die internationale Politik nicht mit der ersten Garde in London präsent sein. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich von Aussenminister Guido Westerwelle vertreten. Die US-Regierung Barack Obamas schickt keinen Vertreter. Dafür nehmen mit Henry Kissinger, James Baker und George Shultz drei ehemalige Aussenminister an den Feierlichkeiten teil. Auch die Schweiz wird mit alt Bundesrat Arnold Koller von einem ehemaligen Regierungsmitglied vertreten.

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