«Unsere Arbeit wird immer schwieriger»

Publiziert

Gespräch mit einem Schlepper«Unsere Arbeit wird immer schwieriger»

Sie stellen ihre Handys auf stumm und bewegen sich schweigend, um nicht entdeckt zu werden. Ein Schlepper an der syrisch-türkischen Grenze verrät Details aus seinem Alltag.

Die illegale Einreise nach Europa ist zeitraubend, teuer und gefährlich. Dennoch nehmen viele Flüchtlinge die Dienste von Schleppern in Anspruch. Eine Reise über das Mittelmeer in der «Holzklasse» kostet rund 300 Dollar. Vom Heimat- bis zum Zielort werden insgesamt mehrere Tausend Dollar fällig.
Bei der Überquerung des Mittelmeers gibt es gute Plätze auf den Schiffen. Andere Passagiere müssen weniger zahlen, haben aber auch keine Garantie – bei den billigsten Angeboten nicht einmal mehr fürs Überleben.
Über die Balkanroute dauert eine Schleusung aus der afghanischen Hauptstadt Kabul nach Deutschland im Schnitt 240 Tage. Wie hier in Serbien im September 2016 mussten die Flüchtlinge oft lange Transitzentren aus behelfsmässigen Zelten ausharren. Seit März 2016 ist die Balkanroute geschlossen.
1 / 12

Die illegale Einreise nach Europa ist zeitraubend, teuer und gefährlich. Dennoch nehmen viele Flüchtlinge die Dienste von Schleppern in Anspruch. Eine Reise über das Mittelmeer in der «Holzklasse» kostet rund 300 Dollar. Vom Heimat- bis zum Zielort werden insgesamt mehrere Tausend Dollar fällig.

AP/Santi Palacios

Dreimal lehnt Omar es ab, über seinen Beruf zu sprechen. Über seine Arbeit, die er oft bei Nacht und möglichst geheim erledigt. Doch dann sagt der Menschenschmuggler doch zu, der Nachrichtenagentur dpa ein Interview zu geben.

Der 31-Jährige, der eigentlich anders heisst, lebt in einem kleinen Ort nahe der syrisch-türkischen Grenze. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Omar stammt aus der syrischen Hafenstadt Latakia. Aus Angst, vom Militär einberufen und in den Bürgerkrieg hineingezogen zu werden, verliess er seine Heimat, wie er sagt. Einst Bauarbeiter, habe er sich dann einer Gruppe von Verwandten angeschlossen, die als Schmuggler arbeiten.

Haben Sie einen Chef?

Nein. Wir arbeiten als Team, diskutieren, beraten uns, dann entscheiden wir. Die Grösse unserer Gruppe hängt davon ab, wie viele Wege wir nutzen können. Normalerweise sind wir sieben Leute, wir können aber mehr anheuern, wenn mehr Wege benutzbar sind.

Gibt es andere Gruppen, die nahe der Grenzen arbeiten?

Ja. Jede Gruppe hat ihre eigene Strecke, über die sie Menschen in die Türkei bringt. Wir können nicht ihre Wege nutzen – und sie nicht unsere. Das ist wie eine Übereinkunft, aber Probleme kann es überall geben (lacht).

Wie gehen Sie genau vor?

Als Erstes können unsere Mitglieder, die für das Beobachten der Wege verantwortlich sind, entscheiden, ob die Strecken offen sind oder nicht. Wenn sie, wie jetzt gerade, zu sind, verschieben wir unsere Arbeit auf die folgende Nacht. Wir brauchen während der gesamten Operation völlige Stille, um in die Türkei zu gelangen. Es darf auch kein Licht geben. Wir sind auf Anrufe angewiesen, um unsere Teamarbeit abzusprechen. Wir benutzen keine Apps, weil sie Licht verbreiten und uns für die Grenzbeamten sichtbar machen. Zudem stellen wir unsere Handys auf stumm. Die Kunden dürfen sich nicht unterhalten. Falls sie geschnappt werden, müssen sie vorgeben, die Schmuggler seien weggelaufen.

Wie lange dauert so ein Grenztrip?

Manchmal muss ein Kunde drei Stunden in der Dunkelheit laufen – wenn es nicht schiefgeht und wir von türkischen Grenzern geschnappt werden. Aber die Türkei macht uns die Arbeit immer schwerer. Heutzutage haben wir kaum Erfolg, die Kunden zu bedienen. Letzten Monat verdiente jeder von uns nur 25 Dollar.

Haben Sie bei Ihrer Arbeit jemals beobachtet, dass jemand verletzt oder getötet wurde?

Was meine Arbeit betrifft, nein. Wir hatten bisher keine Opfer, weder unter unseren Kunden noch auf unserer Seite. Aber vier Menschen aus anderen Gruppen wurden von türkischen Grenzbeamten erschossen und ein Kunde verletzt. Auch Rebellengruppen wie Ahrar und Al-Nusra beobachten uns, wir dürfen keine Fehler machen. Sie funken uns aber nicht dazwischen.

Wie sieht es mit der Bezahlung aus?

Verglichen mit anderen Gruppen sind wir gute Menschen. Wir nehmen nicht viel Bargeld, manchmal nehmen wir überhaupt kein Geld, etwa um Kinder über die Grenze zu bringen. Der Kunde bezahlt, bevor er die Grenze überquert. Wenn jemand geschnappt wird, gebe ich das Geld zurück, so ist der Vertrag. Heutzutage nehme ich nur 150 Dollar für jeden Kunden, einige Gruppen nehmen 500 oder 800 Dollar.

Wie viel verdienen Sie als Schmuggler?

Ich bekomme gerade genug Geld, um zu kaufen, was ich brauche, und um meiner Familie zu helfen.

Haben Sie Partner in der Türkei? Und was tun die Behörden?

Keine Partner, aber wir garantieren unseren Kunden, dass es auf türkischer Seite Leute gibt, die sie ins Landesinnere bringen. Dafür müssen sie ebenfalls zahlen. Die türkischen Behörden sind bereit, uns zu töten. Wenn sie jemanden von uns erwischen, können wir von Glück sprechen, wenn sie uns nur die Knochen brechen.

Was ist das Ziel Ihrer Kunden?

Im Sommer 2016 wollten alle meine Kunden nach Europa, aber jetzt will dort niemand mehr hin. Erstens ist es schwieriger geworden wegen der neuen, strikten Regeln an den europäischen Grenzen. Und zweitens wegen der aggressiven Stimmung gegen Flüchtlinge und Muslime.

Glauben Sie nicht, dass Ihre Arbeit illegal und Schmuggler zu sein etwas Falsches ist?

Also, theoretisch ist es falsch und illegal, so einen Beruf zu haben. Aber praktisch gesehen tue ich Gutes. (sda)

Deine Meinung zählt