«Tank-Man»-Fotograf«Verlangen nach Wahrheit wird siegen»
Vor 25 Jahren schoss der Fotograf Jeff Widener das weltberühmte «Tank-Man»-Foto. Er war dabei, als das chinesische Regime am 4. Juni 1989 in Peking hunderte Studenten tötete.
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking sind die Sicherheitsvorkehrungen in diesen Tagen enorm hoch. Ein gefürchteter Jahrestag steht an: Vor 25 Jahren schlug das chinesische Militär hier die Demokratiebewegung nieder, Hunderte, wenn nicht gar Tausende starben - eine offizielle Todeszahl gibt es nicht.
Der amerikanische Fotograf Jeff Widener (57) war bei dem Massaker vom 4. Juni auf dem Tiananmen-Platz. Dabei schoss er das so genannte «Tank-Man»-Foto, das weltberühmt wurde: Es zeigt einen chinesischen Zivilisten, der sich todesmutig vor eine Kolonnen von Panzern stellt. 20 Minuten hat mit Widener gesprochen.
Sie waren im Juni 1989 in Peking und auf dem Tiananmen-Platz. Was haben Sie dort getan?
Jeff Widener: 1989 war ich Fotograf bei Associated Press AP für den südasiatischen Raum und in Bangkok stationiert. Ich flog nach Peking, um die Studentenbewegung zu dokumentieren. Das war eine Woche vor dem Massaker der chinesischen Regierung auf dem Tiananmen-Platz. In dieser Woche fotografierte ich die Protestmärsche und die Aktivitäten rund um den besetzten Tiananmen-Platz. Die Situation war surreal, weil die Demonstranten eine grosse Demokratie-Statue aufgestellt hatten, gerade gegenüber dem riesigen Mao-Porträt vor der Verbotenen Stadt. Das war ein unglaublicher Kontrast. Alle Medienschaffenden vor Ort fragten sich damals, wie lange die chinesische Regierung dem Treiben der Aktivisten der Demokratie-Bewegung noch zuschauen würde. Ich für meinen Teil dachte, dass ich Zeuge eines historischen Moments war. Obwohl es sehr berauschend war, war ich auch sehr besorgt, dass das Ganze böse enden würde.
Erinnern Sie sich an den Moment, an dem Sie ihr ikonisches Foto aufnahmen? Sie sagten einmal, dass es pures Glück war, dass die Aufnahme überhaupt entstand.
Die Herausforderung war, an der Geheimpolizei vorbeizukommen, die den Eingang des Beijing-Hotels bewachte. Doch von dort aus hatte man den besten Blick auf den Tiananmen-Platz. Ich versteckte deswegen meine Kamera-Ausrüstung unter meiner Kleidung und konnte mich so an der Polizei vorbeischleichen. Das andere grosse Problem zuvor war, vom Büro der AP zum Hotel zu gelangen, denn überall fuhren Soldaten herum und schossen willkürlich auf Zivilisten. Als ich unversehrt im Hotel ankam, schleuste mich ein amerikanischer Austauschstudent namens Kirk Martensen in sein Zimmer. Als wir mit dem Lift nach oben fuhren, sagte er mir, dass Soldaten kurz vor meiner Ankunft auf Menschen beim Hoteleingang geschossen hätten. Ihre Leichen seien von den Hotelmitarbeitern ins Innere geschleppt worden. Das dritte Problem bei der «Tank-Man»-Aufnahme war es, den Film zurück ins AP-Büro zu schaffen. Auslandstudent Martensen riskierte dabei sein Leben, indem er den Film in die US-Botschaft brachte, die diesen ins kleinere AP-Büro im diplomatischen Bereich schleuste. Erst von dort aus erreichten die Fotos die ganze Welt.
Wie hat das «Tank-Man»-Foto Ihr Leben verändert?
Ich hatte lange eine Hassliebe zu dem Bild. Einerseits hat es mir einige neue Möglichkeiten und Chancen für meine Karriere eröffnet, andererseits hat es aber auch meine restliche fotografische Arbeit überschattet. Eine grossartige Erfahrung machte ich mit der Reggae-Band UB40. Ich traf sie an einem Strand in Tahiti. Als die Musiker erfuhren, dass ich der Fotograf von «Tank Man» war, waren sie so begeistert, dass daraus eine langfristige Zusammenarbeit entstand. Ich fotografierte ihre Konzerte und eines ihrer Album-Covers. Es sind grossartige Jungs, wir haben bis heute Kontakt.
Waren Sie in Ihrer Karriere als Fotograf jemals wieder Zeuge eines solch historischen und gefährlichen Moments wie damals am 4. Juni 1989?
Ich habe mehrere Anti-Regierungs-Proteste in Osttimor, Israel, Thailand und Südkorea fotografiert. Der 4. Juni 1989 war aber der gefährlichste Moment, den ich als Fotojournalist dokumentiert habe.
Sie weilen anlässlich des Gedenkens an die zahlreichen Opfer des Massakers vom Tiananmen-Platzes derzeit in Hongkong. Wie fühlen Sie sich dabei?
Ich bin vor allem aus persönlichen Gründen hier. Das gibt mir Gelegenheit, auf mein Leben und meine Karriere zurückzublicken. Ich nehmen nicht als Aktivist an der Gedenkfeier teil. Ich bin nur ein Journalist, der die sich weiterziehende Geschichte verfolgt. Ich habe hier in Asien einige alte Freunde getroffen, und es war grossartig, mich wieder in meinem alten Jagdgefilde tummeln zu können. Wenn ich wieder nach Hamburg zurückkehre, werde ich meine Archive durchforsten und mich auch sonst weiter meiner Fotografie widmen. Hoffentlich wird meine Arbeit dem Schatten von «Tank Man» entkommen.
Vor dem 4. Juni hat die chinesische Regierung den Zugang zu Google stark eingeschränkt. Was halten Sie davon?
Soviel ich weiss, verwenden die Bürger eine Software, welche den Online-Zugang an den Zensoren vorbei ermöglicht. Grundsätzlich glaube ich, dass wo immer es ein Verlangen nach Wahrheit gibt, dieses obsiegen wird.
Wie denken Sie allgemein über China, auch gerade hinsichtlich des 25. Jahrestags des Tiananmen-Massakers?
Die Regierung in Peking hat ihre Agenda, und die chinesischen Bürger haben die ihre. Die Zeit wird es zeigen.

Jeff Widener (57), geboren am 11. August 1956 in Long Beach (USA) ist ein amerikanischer Fotograf. Weltbekannt wurde er durch seine Aufnahme des Tank Man, dem bis heute unbekannten chinesischen Zivilisten, der sich 1989 während des Tiananmen-Massakers vor eine Reihe von Panzern stellte. Widener wurde deswegen für den Pulitzer-Preis 1990 nominiert.
Wer ist der «Tank-Man»?
Bedrohlich haben sich die Panzer in Peking aufgebaut, aber ein Mann in weissem Hemd und schwarzer Hose stellt sich ihnen am 4. Juni 1989 unerschrocken in den Weg. 25 Jahre nach der Niederschlagung der Demokratiebewegung in China ist das Bild von ihm eine Ikone für den Kampf eines Einzelnen gegen ein übermächtiges System geworden.
Doch wer ist der Mann, der an beiden Händen einen Beutel hält und mit ihnen herumfuchtelt, als wollte er die mächtigen Kampffahrzeuge einfach wegscheuchen?
Es gab Berichte, dass er ein 19 Jahre alter Student war, der anschliessend erschossen worden ist.
Andere Darstellungen widersprechen dem Bericht und sagen, dass der Mann nicht von den Behörden gefunden werden konnte und mit seinem Leben davongekommen ist. Gewisse Quellen sagen, dass der Mann ins Ausland geflüchtet sei. Dann wäre allerdings kaum nachvollziehbar, dass er sich bis heute nicht zu erkennen gegeben hat.
Der Mann gilt weltweit als Legende. Nur nicht in China. Denn die Pekinger Führung lässt Abzüge des Bildes vernichten und Zensoren löschen jegliche Kopien des Fotos auf chinesischen Websites umgehend. (jam/sda)