Tsipras bei Merkel«Wir müssen uns besser verstehen»
An Selbstvertrauen fehlte es Alexis Tsipras bei seinem ersten Besuch in Berlin nicht. Was fehlte, war Vertrauen. Stattdessen gab es viele nette Worte.
Griechenland droht zwar die Staatspleite, aber der neue Regierungschef Alexis Tsipras vermittelt am Montag öffentlich nicht den Eindruck übermässiger Sorge. Locker, wie immer ohne Krawatte und strahlend steht er im Kanzleramt neben Angela Merkel.
Nach den Worten Merkels ist beiden Seiten an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelegen. Schwierige Fragen müssten auch angesprochen werden. «Beide Länder wollen gut zusammenleben.» Tsipras bot Deutschland eine neue Form der Zusammenarbeit an. «Wir müssen uns besser verstehen.» «Es gibt keinen anderen Weg als den des Dialogs, um bestehende Schwierigkeiten zu überwinden.»
Das schöne Wetter sei ein Mitbringsel aus Griechenland, scherzt er, und hofft auf ein entsprechend schönes Klima in den Beziehungen zu Deutschland. Am Ende der Medienkonferenz mit der Kanzlerin legt der 40-Jährige kurz seine Hand auf ihren Oberarm. So etwas mag die 60-Jährige überhaupt nicht.
«Ein ethisches, moralisches Problem»
Es ist ein ungewöhnlicher Auftritt. Selten sind so viele Emotionen im Spiel. Sogar bei Merkel. Tsipras will «die Schatten der Vergangenheit aufhellen». Er spricht deutsche Wiedergutmachung für Nazi-Verbrechen und den Zwangskredit an, den Griechenland einst den Nazis geben musste.
Er macht allerdings deutlich, dass Athen kein Geld wolle. «Das ist für uns kein Thema materieller Art, sondern ein ethisches, moralisches Problem.» Er verurteilt griechische Medien, darunter die Zeitung seiner eigenen Syriza-Partei, die Merkel mit Nazi-Symbolen gezeigt haben. «Ich habe gesagt, so geht das nicht.»
Merkel macht keine Zusagen
Merkel bezeichnet die Reparationsforderungen erneut als politisch und rechtlich abgeschlossen. Sie betont, dass sich Deutschland der Grausamkeiten bewusst sei, «die wir angerichtet haben». Und es gefällt ihr nicht, wenn das nicht allen Deutschen gegenwärtig sei.
Aber sie macht keine Zusagen etwa für eine Aufstockung des Zukunftsfonds für Versöhnungsprojekte oder Ähnliches. Sie macht überhaupt keine Zusagen. «Ich kann nichts in Aussicht stellen.» Und: «Das ist ein Antrittsbesuch.»
Sie beschwört aber den Zusammenhalt der Europäischen Union: «Dieses Europa ist darauf aufgebaut, dass jedes Land gleich wichtig ist.» Gleich welcher Grösse, Einwohnerzahl oder Wirtschaftskraft. In der Eurogruppe habe jeder genau eine Stimme. «Das ist, was unser Zusammenleben auszeichnet.»
«Griechen sind keine Faulenzer und Deutsche nicht schuld»
Merkel regt sich über pauschale Vorwürfe gegen die Griechen und die Deutschen auf und betont dabei das «die». Sie gestikuliert wie selten und betont: «Jeder Mensch ist einzigartig.» Und: «Die Europäische Union ist eine so kostbare Sache, dass man alle Anstrengungen dafür unternehmen muss.»
Und Tsipras sagt: «Weder sind die Griechen Faulenzer noch sind die Deutschen schuld an den Missständen in Griechenland. Wir müssen hart daran arbeiten, diese schrecklichen Stereotypen zu überwinden.» Er sei gekommen, um über Meinungsunterschiede zu sprechen. Dabei weist er auch Drohungen aus Athen zurück, deutsche Einrichtungen zu pfänden, wenn Deutschland an anderer Stelle nicht zu zahlen bereit sei. «Das können Sie vergessen.»
Über die Reform-Liste spricht Tsipras nicht
Er spricht aber nicht darüber, worauf alle warten: Die Reform-Liste, die er beim EU-Gipfel in Brüssel vorige Woche versprochen hat. Diese Liste ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Land noch ausstehende Hilfskredite bekommt. Es geht um 7,2 Milliarden Euro, die die Geldgeber wegen nicht eingehaltener Auflagen auf Eis gelegt haben. «Alles soll schnell gehen», hatte Merkel am Freitag in Brüssel gesagt.
Nach Medienberichten droht schon in zwei Wochen die Staatspleite. Dazu sagt Tsipras nur: «Die mittelfristigen Liquiditätsprobleme sind bekannt.» Seine Regierung habe die geerbt. Er verspricht aber: «Wir respektieren die Verträge und unsere Verpflichtungen aus den Verträgen.» Ausführlicher schildert er die Dramen in Griechenland mit der Armut der Bevölkerung und der hohen Jugendarbeitslosigkeit.
Schnelle Reaktion der neuen Regierung
Aus Athen sickert durch, dass Tsipras mit einem Mix aus Steuererhöhungen, Privatisierungen und Nachzahlungen von Steuerbetrügern Geld in die leeren Kassen spülen will. Die schnelle Reaktion ist ein Zeichen des guten Willens der neuen Regierung, die in den zwei Monaten seit Amtsantritt viel Zeit verstreichen liess, statt das Hilfsprogramm abzuarbeiten.
Merkel macht aber klar, dass Tsipras die Liste nicht in Berlin, sondern den zuständigen Institutionen vorgelegen muss, die dann von der Eurogruppe bewertet wird. Sie dämpft Erwartungen, dass Tsipras' Antrittsbesuch in Deutschland den grossen Durchbruch auf der Euro-Ebene bringen könnte. Dafür ist sie nicht zuständig.
Aber sie ist eine entscheidende Station. Denn Merkels Wort hat Gewicht. Und wenn sie ihren europäischen Amtskollegen von einem vertrauensvollen und verbindlichen Treffen berichten könnte, wäre das eine Hilfe für Tsipras. Sozusagen eine Vertrauens-Anleihe. (sda)
Griechenland will Reformpaket bis Montag vorlegen
Griechenland will nach Angaben eines Regierungssprechers der Eurogruppe bis Montag sein Reformpaket vorlegen.
«Das wird bis spätestens Montag geschehen», sagte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis dem Fernsehsender Mega TV am Dienstag. Es werde um strukturelle Veränderungen und nicht um Sparmassnahmen gehen.