Apfels Traum von der «seriösen Radikalität»

Aktualisiert

Neuer NPD-RädelsführerApfels Traum von der «seriösen Radikalität»

Die deutschen Rechtsextremisten vollziehen einen Generationenwechsel: Auf den hemdsärmligen Udo Voigt folgt der berechnende Holger Apfel. Er will die NPD salonfähig machen.

Philipp Dahm
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Philipp Dahm
Wachablösung Rechtsaussen: Der dreifache Familienvater Holger Apfel löst Udo Voigt (rechts) als NPD-Bundesvorsitzenden ab.

Wachablösung Rechtsaussen: Der dreifache Familienvater Holger Apfel löst Udo Voigt (rechts) als NPD-Bundesvorsitzenden ab.

Ein «Wind of Change» ging am Sonntag durch die NPD. In Neuruppin tönte die Musik der Scorpions aus Lautsprechern und die Rechtsradikalen haben sich an jenem 13. November auf ihrem Parteitag ein neues Gesicht gegeben. Sie wählten den Vorsitzenden Udo Voigt ab und Holger Apfel an seine Stelle. Ein hemdsärmliger 59-jähriger Ex-Soldat muss einem ehrgeizigen 40-jährigen Verlagskaufmann weichen. Nicht nur wegen des Alters vollziehen die Radikalen einen Generationenwechsel.

Apfel kam am 29. Dezember 1970 in Hildesheim zur Welt und wusste schon früh, auf welcher Seite sein Herz schlägt. Mit 18 Jahren trat er 1988 der NPD-Nachwuchsorganisation «Junge Nationalisten» (JN) bei, drei Jahre später schloss er das Abitur ab. 1992 wurde er Vize-Vorsitzender der JN, ein Jahr später sass er bereits im NPD-Vorstand. Von 1994 bis 1999 spielte er den JN-Bundeschef, lobte dabei Wehrmacht und Waffen-SS und propagierte den Gedanken einer «neuen Volksgemeinschaft»: Dinge, die in Deutschland Erinnerungen an schlechte Zeiten wecken.

«Fundamentalopposition» gegen die «verhunzte Demokratie»

Den grossen Sprung nach vorne machte der gelernte Kaufmann, dessen Frau Jasmin Geschäftsführerin des «Rings Nationaler Frauen» ist, im Jahre 1996: Er übernahm die Leitung des defizitären NPD-Verlags «Neue Stimme» und es gelingt ihm, die braune Postille nach einem Umzug nach Sachsen in die Gewinnzone zu führen. 2000 wird er Chefredaktor des Blattes: In dieser Funktion kann er sich bei der Parteibasis einen Namen machen. 2002 übernimmt er den Stellvertreter-Posten des NPD-Chefs in Sachsen und trimmt die Rechte vor den Wahlen von 2004 erfolgreich auf Einigkeit: Als Kopf des «Nationalen Bündnis Dresden» schafft er den Einzug in den Sächsischen Landtag und wird zum Führer der dortigen NPD-Fraktion.

Apfel nach der Wahl 2005 beim ZDF: Als der NPDler sagt, es sei ein «grossartiger Tag für alle Deutschen, die auch in Zukunft noch Deutsche sein wollen», verlassen die anderen Volksvertreter die Runde. Quelle: YouTube

Bei der ARD wiederholt Apfel seine dumpfe Parole und spricht von «verhunzter Demokratie» und «Fundamentalopposition». Quelle: YouTube

Zwölf Parteisoldaten zählte seine sächsische Fraktion, doch schon nach drei Jahren hat sich die Zahl der gewählten NPD-Volksvertreter durch Parteiflucht, Straffälligkeit und Ausschluss halbiert. Drei Abgeordnete verliessen die Fraktion im Jahr 2005. «Hinter den Kulissen ging es nur um Macht und Posten», erklärte einer von ihnen der ARD. Die Ex-NPDler mussten anfangs vom Verfassungsschutz vor Repressionen geschützt werden, nachdem Drohungen gegen die Abweichler eingegangen waren.

Der «Bomben-Holocaust» alliierter «Massenmörder»

Vielleicht war den Politikern auch das Auftreten der NPD am 21. Januar 2005 zuwider. Die Partei hatte im Landtag eine Gedenkminute für die Opfer der Bombardierung Dresdens gefordert, worauf die politische Konkurrenz ein Gedenken an die Befreiung des KZ Auschwitz anberaumte. Als Kompromiss sollte für alle Opfer des NS-Regimes eine Minute geschwiegen werden, doch die NPD-Fraktion verliess geschlossen den Saal. In der folgenden Sitzung bezeichnete Apfel das Kriegsende 1945 als «vermeintliche Befreiung Deutschlands», schwadronierte vom «Bomben-Holocaust» und nannte die Alliierten «Massenmörder», bis der Landtagspräsident dem NPDler das Mikro zudrehte. SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss wurde von Zuschauern als «alter Jude» beschimpft.

Zwei weitere Fraktionsmitglieder kehrten der NPD 2005 den Rücken. Einer legte sein Mandat 2007 nieder: Die Polizei hatte seine Büros durchsucht und dabei Kinderpornos gefunden. Der NPD-Mann gab zu, «‹normale› Pornofilme aus dem Weltnetz» heruntergeladen zu haben und wurde 2009 zu einer Geldstrafe verurteilt. Passt das zu einer Partei, die die Todessstrafe für Kinderschänder forderte, fragten 2007 «Panorama»-Reporter Holger Apfel. Seine Antwort: «Ich diskutiere nicht mit Vertretern des Gossenjournalismus.» Ein anderer Parteisoldat wird dagegen aus der Partei ausgeschlossen. «Zum Führer stehe ich nach wie vor», hatte Klaus-Jürgen Menzel auf einem Parteitag in die TV-Kameras gesagt: Offene Bekenntnisse zum Nationalsozialismus wollen die Rechtsradikalen vermeiden. Der Mann wird später bei dem Versuch erwischt, eine Waffe in den Landtag zu schmuggeln.

«Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich selber kotzen möchte»

Sachsen-Chef Apfel weiss, was für ein klägliches Bild seine Truppe abgibt: «Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich selber kotzen möchte», schrieb er laut «Panorama» in einem internen Schreiben an seine «Kameraden». Dennoch schaffte es diese Truppe, 2009 wiedergewählt zu werden. Der Stimmenanteil sank allerdings von 9,2 auf 5,6 Prozent.

Holger Apfel anno 2009 im ARD-Wahlstudio: «Schallende Ohrfeige für die anti-deutschen Volksbetrüger». Quelle: YouTube

Nach seinem Wiedereinzug in den sächsischen Landtag gelüstet es Apfel nach mehr. Mit seinem Pendant aus Mecklenburg-Vorpommern Udo Pastörs will der 40-Jährige NPD-Boss Udo Voigt vom Thron stossen, der ihrer Meinung nach die Jungen Nationalisten nicht gut genug vertritt. Pastörs, der schon mal gegen die «Judenrepublik» und ihre «Krummnasen» wettert, ist ganz auf Apfels Rechtsaussen-Linie.

Ein ZDF-Bericht über den Richtungswechsel in der NPD und über Ermittlungen gegen Udo Pastors wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Er wird später deswegen zu zehn Monaten bedingt verurteilt.Quelle: YouTube

Im Juni 2010 treibt es Apfel im Dresdner Parlament erneut bis zum Äussersten. Seine Fraktion hatte eine Debatte zum Thema «Keine Zusammenarbeit mit Schurkenstaaten – sächsisch-israelische Partnerschaft beenden» beantragt. Am Rednerpult schwadronierte er dann vom «jüdischen Terrorstaat» und einer «blühenden Holocaust-Industrie». Wieder wurde dem Mann das Wort entzogen. Mehr noch: Der Freistaat Sachsen verhängt die ultimative Sanktion, die gegen einen Politiker möglich ist. Sie schloss ihn bis Ende 2010 vom Politikbetrieb aus.

Apfel bleibt genug Zeit, den Machtwechsel an der Parteispitze zu organisieren. Er hilft seinen «Kameraden» in Sachsen-Anhalt als Wahlkampfleiter und lobt im März 2011 auf einer NPD-Veranstaltung, die Partei habe nie einen freundlicheren, professionelleren Wahlkampf geführt. Doch trotz seiner «Volksaufklärungsfahrten» mit einem Lautsprecher-Wagen scheitern die Rechten in Sachsen-Anhalt knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In Mecklenburg-Vorpommern schlägt sich Apfels Adjutant Pastörs besser und zieht erneut ins Parlament ein. Pastörs und Apfel wollen die Partei umkrempeln: Patörs regt an, «radikale Ideen sympathisch in die Bevölkerung zu tragen». Apfel kreiert seine Idee einer «seriösen Radikalität» und fordert: «Raus aus dem Euro!»

Udo Pastörs kommentiert das NPD-Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern anno 2011. Quelle: YouTube

Parteichef Udo Voigt steht dagegen nach einer schweren NPD-Wahlschlappe in Berlin und Plakaten, auf denen «GAS geben» stand, auf verlorenem Posten. Als er am 13. November zum Parteitag nach Neuruppin lädt, liegt Wechselstimmung in der Luft. Der 40-Jährige wird mit 60 Prozent der Stimmen zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt, Pastörs wird sein Stellvertreter. Das Duo will die Rechte als «Kümmerer-Partei» etablieren, kündigt der neue starke Mann an. «Die Partei wird eindeutig gefährlicher», analysiert Christoph Butterwegge.

Der Professor für Politikwissenschaften an der Universität Köln sagte dem «Spiegel»: «Apfel steht für eine Tarntaktik, die der NPD zu neuem Erfolg verhelfen könnte. Das zeigt sich besonders in dem von ihm immer wieder verwendeten Begriff von der ‹seriösen Radikalität›. Es ist der Schwenk zum Populismus - und eine echte Chance für die Partei. Das war aber mit einem Vorsitzenden Voigt nicht zu machen.» Natürlich kommen die Ereignisse um die rechte Zwickauer Terrorzelle für den neuen zur Unzeit, doch Apfel wird die Zweifel pragmatisch zur Seite schieben. Das hat auch in Sachsen funktioniert, wo der NPDler zwar lautstark mehr Arbeitsplätze für Deutsche einforderte und gleichzeitig den Druck der «Deutschen Stimme» nach Polen auslagerte.

Szenen von Holger Apfels Skandalrede im sächsischen Landtag, Wortmeldungen von Udo Pastörs und Jürgen Gansel.

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