Drohungen und PrügelSchwule Russen fliehen als Asylbewerber in die USA
Die Zahl der russischen Asylbewerber in den USA ist deutlich gestiegen. Viele sind Schwule, die vor dem homophoben Klima in ihrer Heimat flüchten.
Wäre er in Russland geblieben, hätte Andrew Mironov jetzt vermutlich einen guten Job als Elektroingenieur und womöglich schon den Doktortitel in der Tasche. Stattdessen steht der 25-Jährige in den USA vor einer ungewissen Zukunft. Der junge Mann ist einer von immer mehr Homosexuellen, die aus ihrer Heimat flüchten und Schutz in den Vereinigten Staaten suchen. Der Start dort ist nicht einfach: Asylbewerber haben anfangs ein Arbeitsverbot und kaum Geld. Hilfsorganisationen kümmern sich um sie.
Mironov verliess seine Heimatstadt Samara fluchtartig, nachdem er dort vor einer Schwulenkneipe zusammengeschlagen worden war. Danach hatte er Angst, auf die Strasse zu gehen. «Was ist wichtiger: Erfolg oder Glück?», fragt er, um direkt die Antwort zu geben: «Ich denke: Glück. Ich habe hier keine Angst mehr.»
Heirat in den USA
Ähnlich ergeht es Andrew Nasonov und seinem Partner Igor Bazilevsky, die im Juli aus der Stadt Woronesk in die USA kamen und derzeit auf die Anerkennung ihres Asylantrags warten. Auch sie lebten in Furcht vor Prügel, Beleidigungen und Drohungen. Im Oktober entschlossen sich der 25 Jahre alte Journalist und der 32-jährige Grafikdesigner, etwas zu tun, was in ihrer Heimat unmöglich gewesen wäre: sie heirateten. «Jetzt können wir endlich sagen, dass wir eine richtige Familie sind», sagt Nasonov. «Es ist unbeschreiblich, was für ein schönes Gefühl das ist.»
Nach Angaben des US-Innenministeriums haben im Steuerjahr 2014 insgesamt 969 russische Staatsbürger Asyl beantragt, ein Plus von 34 Prozent im Vergleich zu 2012. Wie viele von ihnen wegen ihrer sexuellen Orientierung geflüchtet sind, erfasst die Behörde nicht.
Lage für russische Homosexuelle verschlimmert
Die New Yorker Organisation Immigration Equality, die homo-, bi- und transsexuellen Einwanderern juristische Hilfe gewährt, berichtet aber von einem deutlichen Anstieg. 2012 hätten 68 Russen wegen ihrer sexuellen Orientierung Asyl beantragt, 2013 seien es 127 gewesen und bis zum 30. Oktober dieses Jahres bereits 161. Die Organisation verweist darauf, dass sich die Lage für Homosexuelle in Russland in den vergangenen Jahren deutlich verschlimmert habe.
Um in den USA Asyl zu bekommen, muss jeder Antragsteller in seinem Fall nachweisen, dass die Angst vor Verfolgung in seiner Heimat begründet ist. Das Verfahren kann sechs Monate oder länger dauern. In den ersten fünf Monaten dürfen Asylbewerber nicht arbeiten und haben auch keinen Anspruch auf staatliche Hilfe.
Deshalb haben sich in mehreren US-Städten Organisationen gefunden, die sich um die homosexuellen Flüchtlinge aus Russland kümmern. Eines der grössten Probleme zum Beispiel in Washington ist es, eine Unterkunft zu finden – Nasonov und Bazilevsky sind hier zunächst bei einem schwulen Paar untergekommen.
Die meisten sind 20- bis 30-jährig
Hilfe in der US-Hauptstadt gewährt auch die Gruppe Spectrum Human Rights Alliance, die 2011 von dem russischen Einwanderer Larry Poltavtsev gegründet wurde. Ihn ärgert vor allem, dass die Neuankömmlinge nicht arbeiten dürfen. «Das macht überhaupt keinen Sinn, denn die meisten haben eine gute Ausbildung und sprechen auch gut Englisch», sagt er.
Nach Angaben von Aaron Morris, Jurist bei Immigration Equality, handelt es sich bei den meisten Menschen, die Russland wegen ihrer sexuellen Orientierung verlassen haben, um junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren.