Anschläge von ParisAttentäter spielte Xylophon auf Bataclan-Bühne
In einem Bericht des französischen Innenministeriums kommen Details zu den Pariser Anschlägen ans Licht: Die Attentäter nutzten Handys ihrer Opfer und bastelten ihre Bomben mit leicht erhältlichen Chemikalien.
Salah Abdeslam war wegen der Pariser Terrorserie vom 13. November 2015 monatelang gesucht und am letzten Freitag schliesslich in Brüssel gefasst worden. Er soll bei den Pariser Anschlägen mit 130 Toten eine tragende Rolle gespielt haben. Nach französischen Angaben war er als Selbstmordattentäter im Pariser Stade de France vorgesehen, zog den Plan aber nicht durch, sondern floh.
Dieses Video zeigt die Verhaftung von Salah Abdeslam am Freitag.
Nun werden laut «Spiegel»neue Details bekannt, wie Abdeslam und die anderen Mitglieder der islamistischen Terrorzelle während der Anschläge vorgingen. Der «New York Times» ein 55-seitiger Bericht des französischen Innenministeriums vor. Der Bericht zeigt die präzise Vorbereitung der Attentäter von Paris.
«Trefft jeden und alles»
Mit den Anschlägen von Paris hat sich offenbar der Fokus der Terrorplaner des IS bei Attentaten im Ausland verschoben. In den vergangenen Jahren hatten sie wie zuvor al-Qaida symbolische Ziele ins Visier genommen – Einrichtungen mit deutlichem Bezug zu Israel. Doch jetzt sei die Anweisung offenbar anders. «Mein Rat ist, damit aufzuhören, nach speziellen Zielen zu suchen», wird Boubacar a-Hakim, ein angeblicher Mastermind der französischen Jihadisten, zitiert. «Trefft jeden und alles», forderte er demnach in einem Interview.
In Paris fingen die Attentäter unter Anleitung ihres Chefplaners Abdelhamid Abaaoud offenbar damit an, diese Aufforderung umzusetzen. Im vollbesetzten Bataclan schossen sie wahllos auf alles, was ihnen vor die Kalaschnikows kam. Sie zielten dabei auch auf Menschen, die sich zum Schutz auf den Boden des Saales gelegt hatten. Während des Gemetzels habe einer der Terroristen zwischen den Gewehrsalven auf der Bühne Xylophon gespielt – mit einem «sadistischen Lachen», wie mehrere Augenzeugen berichten. Später wird der Täter als Samy Amimour identifiziert, ein früherer Busfahrer.
Sprengstoffgürtel unter einem Bayern-Shirt
Im Bericht schildern Zeugen, wie sich kurz nach 21 Uhr im Bistro «Comptoir Voltaire» Salah Abdeslams Bruder Ibrahim in die Luft sprengte. Er war ihnen bereits durch seine Kleidung aufgefallen, die selbst für diesen kühlen Novemberabend ungewöhnlich war: Er trug über einem Mantel mit Pelzbesatz noch einen Anorak und eine Weste – offenbar um den Sprengstoff zu verbergen, den er an seinem Körper hatte. Als er das Café betrat, entschuldigte er sich sich bei den Gästen «mit einem Lächeln im Gesicht» – und sprengte sich dann in die Luft.
Sicherheitskräfte fanden später Elektrokabel an seinem Körper, die mit einer 9-Volt-Batterie verbunden waren, Bestandteile der Bombe. Die Ermittler stellten fest, dass es sich bei den Sprengstoffrückständen um Triacetontriperoxid (TATP) handelte, ein hochexplosives Gemisch aus leicht erhältlichen Komponenten wie Schwefelsäure, Wasserstoffperoxid und dem Lösungsmittel Aceton. Bei den Pariser Attentaten wurde der Sprengstoff an allen Tatorten verwendet: neben dem Cafe Voltaire also auch am Stade de France und dem Klub Bataclan. Ein auf diese Art verkabelter Selbstmordattentäter am französischen Nationalstadion trug einen Trainingsanzug des FC Bayern – offenbar um unter den Fussballfans nicht aufzufallen.
Sie nutzten Handys ihrer Geiseln und Opfer
In der Nähe des Bataclan fanden die Ermittler in einem Abfalleimer ein weisses Samsung-Handy mit einer belgischen SIM-Karte, die erst einen Tag vorher aktiviert wurde. Es wurde auch nur eine Nummer in Belgien damit angewählt – zu wem sie gehört, konnte noch immer nicht festgestellt werden. Auf anderen Mobiltelefonen wurden Fotos mit Grundrissen des Bataclan sowie Links zu Seiten für Konzerttickets zum Auftritt der Band Eagles of Death Metal entdeckt. Und immer wieder wurden in den Stunden und Minuten vor den Anschlägen von allen Tatorten aus Nummern in Belgien angewählt. Die Handys waren jeweils neu und wurden auch erstmals an dem Anschlagsabend von den Terroristen benutzt.
Im Bataclan benutzten die Täter zudem die Handys ihrer Geiseln und probierten damit, ins Internet zu kommen. Doch oft schafften es die Täter laut dem Bericht nicht, Daten zu empfangen. Die Attentäter hätten mit den Handys der Geiseln auch versucht, Kontakt zur Polizei für Verhandlungen aufzunehmen.
Eine 40-jährige Überlebende aus dem Bataclan berichtet zudem, einer der Terroristen habe einen Laptop dabei gehabt. Auf dem Display seien eine Reihe von sonderbaren Linien und Zeichen zu sehen gewesen – möglicherweise handelte es sich um eine Verschlüsselungssoftware, von der der IS nach den Anschlägen behauptete, sie verwendet zu haben.
Weiterer Komplize verhaftet
Spätestens in drei Monaten dürfte Salah Abdeslam von den Belgiern an die französische Justiz übergeben werden. Am Montag kamen die Ermittler wieder einen Schritt weiter: Sie identifizierten einen weiteren Komplizen der Pariser Terroristen. Es handelt sich um den 24-jährigen Najim Laachraoui, der bisher unter dem falschen Namen Soufiane Kayal bekannt gewesen sei. Zusammen mit dem am vergangenen Dienstag gefassten Algerier Mohamed Belkaid soll er am Abend der Anschläge telefonisch mit den Attentätern in Kontakt gestanden zu haben. Demnach besteht die «hohe Wahrscheinlichkeit», dass Belkaid die SMS empfing, in der die Attentäter vom Konzertsaal Bataclan schrieben, dass sie nun beginnen würden. (nag/sda)
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Viele offene Fragen
Auch nach der Festnahme von Salah Abdeslam bleibt nach Einschätzung des belgischen Generalstaatsanwalts Frédéric van Leeuw noch viel zu tun. «Wir haben nicht wenige Puzzleteile und in letzter Zeit haben viele Puzzleteile ihren Platz gefunden, aber ich bin noch weit davon entfernt, wir sind noch weit davon entfernt, das Puzzle fertiggestellt zu haben.» Van Leeuw äusserte sich bei einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit dem Pariser Staatsanwalt François Molins in Brüssel. Letzterer teilte mit, dass belgische und französische Beamte ein gemeinsames Ermittlungsteam zur Aufklärung der Pariser Anschläge gebildet hätten.