Mordfall PistoriusDie «Bulldogge» lässt nicht locker
Staatsanwalt Gerrie Nel nimmt Oscar Pistorius auseinander. Er sucht nach Widersprüchen, indem er jede Handlung und jeden Gedanken des Angeklagten in der Tatnacht hinterfragt.
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Schritt für Schritt ging Staatsanwalt Gerrie Nel am Montag im Kreuzverhör die Geschehnisse von dem Moment an durch, als sich Oscar Pistorius vom Schlafzimmer aus Richtung Badezimmer bewegte. Er wollte ganz genau wissen, wann der Angeklagte was getan, gesagt oder gedacht hat.
Immer wieder machte Nel dabei auf kleine Unstimmigkeiten oder Ungenauigkeiten in den Aussagen des Angeklagten aufmerksam. Pistorius ändere seine Verteidigungslinie, beschuldigte er den 27-Jährigen.
Verteidigungsstrategie geändert?
«Sie plädieren nicht mehr auf Selbstverteidigung. Sie sagen, sie wüssten nicht, warum sie geschossen haben», sagte Nel. Er habe damals keine Zeit zum Nachdenken gehabt, sagte Pistorius, der des vorsätzlichen Mordes an seiner Freundin Reeva Steenkamp angeklagt ist. «Ich habe nicht auf Reeva geschossen.»
Pistorius hatte während der Befragung wiederholt Gedächtnislücken geltend gemacht. Auf die Fragen von Nel, der auf Widersprüche in den Aussagen des Athleten verwies, antwortete Pistorius am Montag mehrfach mit den Worten, er könne sich «nicht erinnern» oder sei sich «nicht sicher». Er verstehe die Fragen nicht, betonte der Athlet, der sein Gesicht in den Händen vergrub und laut schluchzte.
Ohne Warnung geschossen
Pistorius habe laut dieser Version der Geschehnisse unverantwortlich gehandelt, sagte der Staatsanwalt. «Es hätte ein Kind sein können. Oder ein unbewaffneter Einbrecher. Aber sie haben ihnen keine Chance gegeben. Sie haben einfach gefeuert.»
Ein vernünftiger Mensch hätte eine Warnung gerufen oder einen Warnschuss abgefeuert, meinte Nel. Pistorius sagte, er mache sich für «den Unfall» verantwortlich. «Ich gebe mir die Schuld daran, dass ich Reeva das Leben genommen habe.»
Trauma oder Kindchenschema?
Oscar Pistorius kämpfte mehrmals gegen seine Emotionen an, zweimal musste die Verhandlung unterbrochen werden. Nel interpretierte die Zusammenbrüche von Pistorius als Zeichen der Frustration. Der Angeklagte reagiere immer dann emotional, wenn er nicht mehr weiter wisse. Pistorius hingegen sagt, dass ihn die Erinnerung an die Tatnacht aufwühle.
Zu einer unfreiwillig humoristischen Einlage kam es, als Nel den Gerichtsdiener aufforderte, sich für eine Demonstration auf die im Gerichtssaal aufgestellte WC-Schüssel zu setzen: Das Publikum lachte, die Richterin war leicht verärgert.
Die Richterin musste den Staatsanwalt ausserdem mehrmals unterbrechen, wenn dieser sich festgebissen hatte. Die Verhandlung kam bis zu dem Moment, als es Pistorius dämmerte, dass er womöglich auf seine Freundin Reeva geschossen hat.
Der Angeklagte war totenbleich
Pistorius wirkte am Montag im Prozess ruhig, aber erschöpft. Sein Gesicht war aschfahl. Auf die Frage des Staatsanwalts, warum es in der Nähe des Betts Blutspritzer gab, obwohl seine Freundin im Bad gestorben sei, antwortete Pistorius, er könne dem nicht folgen.
Schon am Freitag hatte sich der Athlet in Widersprüche verwickelt. Er gab zu, dass er seit der Tat unterschiedlich über Details wie das Ausschalten der Alarmanlage ausgesagt habe.
Nach dem Ende des Verhandlungstags verliess Pistorius rasch den Gerichtssaal in Pretoria, schrieb aber draussen ein paar Autogramme für wartende Fans.
Absicht oder nicht – das ist die Frage
Der 27-jährige Sportler bestand während der gesamten Verhandlungswoche weiter darauf, Steenkamp für einen Einbrecher gehalten und sie aus Versehen getötet zu haben. Die Staatsanwaltschaft ist hingegen davon überzeugt, dass Pistorius die 29-Jährige mit Absicht nach einem Streit erschoss. Bei einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Mordes könnte er lebenslänglich hinter Gitter kommen. Die Verhandlung wird am Dienstag fortgesetzt. (kmo/sda)