Anschlag in Ansbach«Leute gehen Flüchtlingen jetzt aus dem Weg»
Einen Tag nach dem Anschlag in Ansbach herrscht wieder Normalbetrieb. Die Geschäfte sind geöffnet, die Sonne scheint. Doch die Bewohner stehen unter Schock.
Ansbach ist klein. Die Häuser sind pastellfarben mit bunten Fensterläden, überall sind Blumen gepflanzt. In der Innenstadt spazieren Menschen den Geschäften entlang, Touristen lesen Karten, Pärchen knutschen.
Auf den ersten Blick herrscht in dem Städtchen in Bayern an diesem sonnigen Tag Normalität. Auf den zweiten wirkt jedoch etwas merkwürdig, etwas falsch. Wüsste man nicht, dass sich am Abend zuvor ein Mann mitten im Zentrum mit einer Bombe in die Luft gesprengt hat, könnte man die sonderbare Stimmung wohl nicht erklären – bis man hinhört.
Nur ein Thema
«Er ging aufgeregt auf und ab, er hatte Stöpsel in den Ohren und hantierte mit seinem Rucksack. Sie ging rein, um etwas zu trinken zu holen, da hörte sie den Knall.» Eine ältere Frau sitzt an einem Bistrotisch vor ihrem Kleidergeschäft, ihr gegenüber schaut eine jüngere Frau sie gebannt an, während die Zigarette zwischen ihren Fingern immer kleiner wird und die Asche zu Boden fällt.
Ein paar Strassen weiter liegt das Eis-Café Doge, nur wenige Meter vom Tatort entfernt. Die Tische sind besetzt, die Leute essen Coups und trinken gespritzten Weisswein. Hin und wieder lacht jemand, aber das Geräusch klingt fremd, als würde es nicht hierher passen. Die Augen der Gäste huschen im Minutentakt zum rot-weissen Absperrband, zu den Journalisten und den Gaffern, die unablässig in jene Richtung fotografieren, wo die Explosion stattfand, in Richtung der Pfarrstrasse.
«Ich war gerade drinnen, als es knallte», sagt Antonella Spolaore, Kellnerin im Café. Das Geräusch sei an der Kirche abgeprallt und habe sie fast zu Tode erschreckt. Polizei, Feuerwehr und Ambulanzen seien vorgefahren, so viele Autos habe sie noch nie gesehen. «Alle sprachen von einer Gasexplosion, aber ich wusste, dass das nicht stimmten konnte.»
«Die Gäste sind angespannter als sonst»
Der Bürgermeister sei ebenfalls sofort im Stadthaus aufgekreuzt, das sich unmittelbar beim Café befindet. Helikopter seien über dem Gebäude gekreist. «Sogar die Gäste merkten, dass da etwas Schlimmes passiert sein musste», sagt Spolaore.
Ein paar junge Frauen seien in Panik ins Lokal gerannt. Die meisten aber hätten Ruhe bewahrt. «Wir wussten ja noch nichts Genaues.» Seit aber klar sei, dass es eine Bombenexplosion war, die an diesem Abend die Stille zerriss, habe die Atmosphäre umgeschlagen. Spolaore: «Die Gäste sind viel angespannter als sonst, sie wirken gedämpft und ängstlich.»
Auch ein bisschen weiter, in der Bäckerei Held, gibt es nur ein Thema: «Gewisse Leute sagen, sie liessen sich davon nicht einschüchtern. Andere haben Angst, an dem Ort überhaupt vorbeizugehen», erzählt ein Mann seiner Frau. «Dass so was hier passiert – unglaublich.»
Die Explosion war lauter als die Musik
Nun öffnet die Polizei die Absperrung. Der Tatort ist zugänglich. Es geht um ein paar Ecken, und schon steht man da: vor Eugens Weinstube. Zersplitterte Glasscheiben, zerbrochene Stühle, hellblaue Scherben, zerstreute Jasskarten, dunkelrote Blutspritzer und eine mit gelber Kreide gezeichnete Figur auf dem Asphalt.
Zwei junge Frauen starren darauf, gebannt und gleichzeitig angeekelt. «Wir waren am Openair, als es passierte, und wollten den Ort mit eigenen Augen sehen», sagt Alina Hiller. Sie spricht schnell und hektisch. Sie hätten die Explosion gehört – «über die Musik hinweg, das war echt laut.» Sandra Penno nickt.
«Lehrer hatten Angst vor weiterer Bombe»
Alle seien sofort zum Ausgang gerannt und hätten gefragt, was los sei. Eine Gasexplosion, sagte man ihnen. «Ich glaube, die wollten nicht, dass eine Massenpanik ausbricht», sagt Penno. Erst über die Push-Nachrichten hätten sie die Wahrheit erfahren. «Wir hatten Angst, dass da noch ein Zweiter unterwegs ist und sind sofort nach Hause gegangen.»
Als «mulmig» beschreiben sie ihr Gefühl heute, am Tag danach. In der Schule habe man nur über den Anschlag gesprochen. Ihre Klassenfahrt nach Nürnberg sei sogar abgesagt worden, weil die Lehrer Angst hatten, im Zug könnte ebenfalls eine Bombe gezündet werden.
Auch die Leute in der Stadt verhielten sich anders, sagen die zwei. «Sie gehen den Flüchtlingen aus dem Weg. Das würde ich auch machen – ich meine, jetzt ist man halt darauf fokussiert, auch wenn die nichts dafür können.» Es sei einfach derart absurd, dass in Ansbach so etwas passiere.
In nächster Zeit keine Normalität
Eine ältere Frau kommt dazu und hört mit. «Das stimmt, das ist eine kleine Stadt oder eher ein grosses Dorf», sagt sie. Sie sei hier aufgewachsen und könne es nicht glauben. «Gott sei Dank hat es keine Toten gegeben, also, abgesehen von dem Typen.»
Sophia Nezirovic (19) arbeitet im Eisladen gleich um die Ecke. Auch sie hat die Explosion am Sonntagabend gehört .«Ich wohne dort in der Nähe.» Es sei merkwürdig, jetzt einfach wieder normal zur Arbeit zu gehen, Menschen freundlich anzulächeln, während man sie bediene, und so zu tun, als wäre nichts gewesen. «Ich weiss nicht, wann hier wieder Normalität herrscht. In nächster Zeit bestimmt nicht.»