Türkei zieht Botschafter aus Berlin ab

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Genozid-EntscheidTürkei zieht Botschafter aus Berlin ab

Der Deutsche Bundestag stuft das Massaker an den Armeniern als Völkermord ein. Die Türkei reagiert gehässig.

von
kat
Die Türkei hatte die Resolution im Vorfeld scharf kritisiert: Demonstranten schwenken türkische Fahnen vor dem Brandenburger Tor in Berlin. (1. Juni 2016)

Die Türkei hatte die Resolution im Vorfeld scharf kritisiert: Demonstranten schwenken türkische Fahnen vor dem Brandenburger Tor in Berlin. (1. Juni 2016)

Kein Anbieter/AP Photo/Michael Sohn

Der türkische AKP-Parlamentarier Burhan Kuzu hat türkischstämmige Unterstützer der Völkermord-Resolution im Bundestag als «Verräter» bezeichnet und sie vor Reisen in die Türkei gewarnt. Kuzu ist Mitglied des Vorstands der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP.

«Die türkischstämmigen Abgeordneten im deutschen Parlament, die die Völkermord-Entscheidung unterschrieben haben, sollen keinen Fuss mehr in dieses Land setzen», schrieb Kuzu am Donnerstag auf Twitter. Den Grünen-Chef Cem Özdemir, der zu den Initiatoren der Resolution gehörte, zählte er zu den «Verrätern».

«Schäme Dich, Deutschland. Kümmere Dich erst um Deine eigene schmutzige Geschichte. Ist Hitler etwa Türke?», schrieb Kuzu. «Der deutsche Ungläubige hat's wieder einmal getan. Ich habe es immer gesagt; Deutschland war uns niemals ein ehrlicher Freund.» Mit Blick auf die Deutschen meint er: «Das Osmanische Reich ist wegen ihnen auseinandergefallen.»

Botschafter abgezogen

Die türkische Regierung hat die Armenier-Resolution des Bundestags als «null und nichtig» bezeichnet. Das deutsche Parlament habe die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg auf der Grundlage «verzerrter und gegenstandsloser Unterstellungen» als Völkermord eingestuft und damit einen «historischen Fehler» gemacht, erklärte Regierungssprecher Numan Kurtulmus auf Twitter. Für die türkische Regierung sei die Entscheidung daher gegenstandslos. Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu kritisierte die Bundestagsentscheidung auf Twitter als «unverantwortlich und haltlos». Cavusoglu warf Deutschland vor, die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte überdecken zu wollen, indem «die Geschichte anderer Länder angeschwärzt wird».

Aus Protest gegen die Armenier-Resolution ruft die Türkei ihren Botschafter aus Berlin zurück, bestätigt die türkische Regierung. Botschafter Hüsein Avni Karslioglu werde noch am Donnerstagnachmittag in ein Flugzeug nach Ankara steigen, meldete die regierungsnahe Zeitung «Yeni Safak» auf ihrer Internetseite. Zudem bestellt die Regierung den deutschen Geschäftsträger in Ankara ein. Das Gespräch sei für den Nachmittag geplant, hiess es am Donnerstag in diplomatischen Kreisen.

Nur eine Gegenstimme

Der heftigen Kritik aus der Türkei zum Trotz hat der Bundestag am Donnerstag mit grosser Mehrheit die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft. Der Antrag war von Union, SPD und Grünen gemeinsam eingebracht worden. Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) zufolge gab es eine Gegenstimme, ein weiterer Abgeordneter enthielt sich. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) waren aus Termingründen bei der Abstimmung nicht anwesend. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte im Vorfeld der Abstimmung wegen der Resolution vor einer Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen.

In der Debatte betonten mehrere Abgeordnete, mit der Resolution sei keine Verurteilung im juristischen Sinne verbunden. Mit dem Antrag solle den Opfern gedacht und die Aufarbeitung des Geschehenen und die Versöhnung zwischen Türken und Armeniern vorangebracht werden.

«Das ist keine Anklageschrift, sondern das ist eine Verneigung vor den Opfern», sagte der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan. «Wir sitzen hier nicht zu Gericht.» (kat/sda)

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