Gewalt und Elend ohne Ende

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50 Jahre KongoGewalt und Elend ohne Ende

Bodenschätze von Gold und Diamanten bis Kobalt und Coltan. Und ein Volk, das 50 Jahre nach der Unabhängigkeit in Not, Elend und Gewalt verhaftet ist.

Patrice Citera
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Patrice Citera
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Die Regierung der Demokratischen Republik Kongo feiert den 50. Jahrestag der Unabhängigkeit am Mittwoch in Anwesenheit des belgischen Königs Albert II. mit grossem Pomp. Doch viele Bürger, die tagtäglich ums Überleben kämpfen, fragen sich: Warum? Manche boykottieren die Festivitäten, gerade im Osten des Landes, wo eine Viertelmillion Menschen vor Aufständischen geflohen sind.

Der Verantwortliche für die Feierlichkeiten, General Denis Kalume Numbi, sieht den Zeitpunkt gekommen, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und neue Ziele zu setzen. «Es ist eine Gelegenheit für uns, darüber nachzudenken, warum das Land sich nicht weiterentwickelt hat», sagte er der AP. «Wir holen Vertreter unserer Regierungsbehörden zusammen, um herauszufinden, wieso sie den Erfordernissen nicht gerecht geworden sind und was sie tun können, um das zu ändern.»

Die Unterentwicklung zeigt sich schon darin, dass das Land von der Grösse Westeuropas nur 500 Kilometer geteerter Strassen hat. Um dem Fortschritt auf die Sprünge zu helfen, hat Präsident Joseph Kabila ein Milliardengeschäft mit China vereinbart: Schürfrechte im Austausch gegen Strassen und Bahnlinien, Krankenhäuser und Schulen.

Geschichte des Grauens

Als das Land am 30. Juni 1960 unabhängig wurde, funktionierten die Telefonleitungen und die Post. Heute nicht mehr. Kongo könnte das wohlhabendste Land Afrikas sein, doch Überfluss herrscht nur an Not und Leid. «Ich habe noch nie Menschen unter schlimmeren Umständen leben sehen», sagte der Leiter der UN-Hilfsorganisationen, John Holmes.

Kongos Geschichte ist brutal und tragisch. Geschaffen wurde das Land 1885 vom belgischen König Leopold II., der den Kongo-Freistaat im Herzen Afrikas aus dem Boden stampfte und in Privatbesitz nahm. Die Gräueltaten der Handelsgesellschaften, die ihn zum Millionär machten, ruinierten sein Andenken bis heute. Erst wurde der Kongo zum Lieferanten für Elfenbein, dann für Latex, das seit der Erfindung des Gummireifens sehr gefragt war.

Zur Steigerung der Gummiproduktion bedienten sich die Handelsgesellschaften brutalster Methoden. Die Dorfbewohner mussten immer mehr Saft der Gummibäume abliefern. Schafften sie die Vorgabe nicht, wurden die Hütten niedergebrannt, ganze Familien abgeschlachtet und den Überlebenden die Hände abgehackt. In dieser Kulisse des Grauens spielt der Roman «Herz der Finsternis», der Joseph Conrad 1899 berühmt machte.

Leopold «ein Visionär, ein Held»

Bilder verstümmelter Kongolesen wurden zum Inbegriff der Herrschaft Leopolds. Wie viele ermordet und verstümmelt wurden, weiss niemand. Der Historiker Adam Hochschild schätzt die Zahl der Toten auf vier bis acht Millionen. Der daraus erwachsende Skandal zwang den König, das Land 1908 an die belgische Regierung abzutreten, die es Belgisch-Kongo nannte.

Doch der Streit dauert bis heute an: Erst vor kurzem sorgte der belgische frühere EU-Entwicklungskommissar Louis Michel für Empörung, weil er Leopold lobte. «Leopold II. war ein wahrer Visionär für seine Zeit, ein Held», sagte er einem belgischen Magazin. «Und selbst wenn es schreckliche Vorkommnisse im Kongo gab, sollten wir sie jetzt verurteilen?»

Leopold II. war nie im Kongo. Als erster belgischer Monarch kam König Baudouin zum 25. Jahrestag der Unabhängigkeit. Noch heute machen viele Kongolesen Belgien für den desolaten Zustand ihres Landes verantwortlich. Auch nach der Unabhängigkeit mischte sich die Kolonialmacht noch ein; sie wird gemeinsam mit dem US-Geheimdienst CIA für die Ermordung des ersten demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Patrice Lumumba 1961 in der abtrünnigen Provinz Katanga verantwortlich gemacht.

Unrühmliche Rolle bei der Ermordung Lumumbas

Lumumba, bis heute Symbolfigur der Unabhängigkeitsbewegung in Afrika, hatte die Europäer mitsamt ihren ausbeuterischen Bergbauunternehmen hinauswerfen wollen. Es dauerte 41 Jahre, bis sich Belgien für seine Rolle beim Tod Lumumbas entschuldigte.

Nach dem Mord war es mit der Demokratie im Kongo für fast ein halbes Jahrhundert wieder vorbei. Belgien und die USA stützten den 32 Jahre lang herrschenden Diktator Mobutu Sese Seko, der als Bollwerk gegen den Kommunismus galt. Mobutu brachte das Land, das er in Zaire umtaufte, unter Kontrolle. Zugleich häufte er ein auf Milliarden geschätztes Vermögen an und verfestigte die Korruption, unter der der Kongo noch heute leidet. 1997 wurde Mobutu von einem Rebellenbündnis gestürzt. Laurent Kabila, der Vater des heutigen Präsidenten, ergriff die Macht.

Dann griff der Völkermord aus dem benachbarten Ruanda über, und es entbrannte ein Regionalkrieg um die riesigen Bodenschätze - Kongo besitzt unter anderem 30 Prozent der weltweiten Kobalt- und zehn Prozent der Kupfervorkommen. In den 90er Jahren wurden immer mehr Länder in den Konflikt verstrickt: Burundi, Ruanda, Uganda, Simbabwe, Namibia und Angola entsandten alle Truppen zur Unterstützung Kabilas, als Gegenleistung für Schürfrechte.

Millionen Tote

Vier Millionen Menschen starben. Das Land kam dermassen herunter, dass nach Schätzung von Hilfsorganisationen noch heute jeden Monat 45 000 Menschen an Hunger und Krankheit sterben. Kabila wurde 2001 ermordet und von seinem Sohn Joseph abgelöst, der 2006 per Wahl im Amt bestätigt wurde. Die grösste Friedenstruppe der Vereinten Nationen, die seit über einem Jahrzehnt im Kongo für Stabilität zu sorgen versucht, soll nach seinem Willen bis September 2011 abgezogen sein.

Präsident fordert «moralische Revolution»

Zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Kongo hat Präsident Joseph Kabila eine «moralische Revolution» gefordert. In seiner Rede vor gut einem Dutzend Staatschefs sprach sich Kabila dafür aus, Verbrechen wie Begünstigung «ohne Nachsicht» zu bestrafen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisierte die Unabhängigkeitsfeiern angesichts der Menschenrechtslage in dem zentralafrikanischen Land als «scheinheilig».

Umstrittene Staatsgäste

Zu der Zeremonie am Mittwoch in Kinshasa war auch der belgische König Albert II. angereist. Der erste Besuch eines belgischen Monarchen in dem westafrikanischen Land seit 25 Jahren wurde von den Menschen wegen der Kolonialgeschichte eher zurückhaltend aufgenommen. Auch UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und mehrere afrikanische Staatschefs waren zu der Zeremonie gekommen. Neben dem umstrittenen simbabwischen Präsidenten Robert Mugabe gehörte auch der ruandische Staatschef Paul Kagame zu den Gästen, mit dem Kabila 2009 einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte.

Eigenlob: «Paradies auf Erden»

In einer Parade sollten am Nachmittag 15 000

kongolesischen Soldaten und Polizisten sowie 400 Panzer und Fahrzeugen über den komplett erneuerten «Triumphboulevard» durch die Hauptstadt ziehen. Das afrikanische Land sparte nicht mit Eigenlob. Auf einem riesigen Spruchband neben der Ehrentribüne war zu lesen: «Der Riese erwacht, DRKongo, offizielles Paradies auf Erden». (SDA)

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