Britische Bomben auf Syrien«Unser Einmischen erhöht die Gefahr von Anschlägen»
57 Minuten nachdem das britische Parlament Luftschläge gegen den IS in Syrien beschliesst, fliegt die Luftwaffe erste Angriffe. Viele Briten befürchten Racheakte daheim.
Vier Kampfjets der Royal Air Force bombardierten gestern Nacht Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien – nur 57 Minuten nachdem das britische Parlament für eine Ausweitung der Anti-IS-Luftangriffe auf das Bürgerkriegsland gestimmt hatte.
Bei den ersten Angriffen nahm die britische Luftwaffe Ölanlagen des IS ins Visier. Getroffen worden seien die Omar-Ölfelder im Osten des Landes, meldete das Verteidigungsministerium. Damit habe man der Finanzierung der Organisation einen «echten Schlag» versetzt, sagte Verteidigungsminister Michael Fallon der BBC. Heute Morgen starteten acht weitere Jets aus Schottland. Sie sollen in den nächsten Tagen weitere Ziele im Norden und Osten Syriens bombardieren, sagte Fallon der BBC.
«Racheakte sind wahrscheinlich»
Premierminister David Cameron ist überzeugt, dass Grossbritannien sicherer bleibt, wenn die Briten den IS in Syrien bombardieren. Nicht wenige zweifeln daran. «Camerons Annahme, dass Bomben unsere Sicherheit erhöhen, ist falsch», schreibt der Journalist Peter Wilby im «New Statesman». «Wir sollten uns keine Illusionen machen: Unser Einmischen wird die Gefahr deutlich erhöhen, dass der IS bei uns zuschlägt.»
Wilby argumentiert, dass die Angriffe in Paris nur zwei Monate auf Frankreichs militärische Einmischung in Syrien folgten. Auf Russlands Luftschläge kam es zum Abschuss einer russischen Passagiermaschine über dem Sinai, und auch die Türkei habe die Quittung für ihre Luftschläge seit Juli erhalten: Im Oktober rissen islamistische Selbstmordattentäter 100 Menschen in Istanbul mit in den Tod.
«Einkaufszentren sind voll, Kinder sind auf den Strassen»
Racheakte befürchteten auch viele der Tausenden Demonstranten, die sich während der gestrigen Abstimmung vor dem Parlament einfanden. «Bald ist Weihnachten. Die Einkaufszentren werden brechend voll sein, kleine Kinder werden auf den Strassen sein», sagte Peter Brierley, der eine Rede hielt. Sein Sohn war laut «Guardian» im Irak-Krieg gefallen, in dem auch die Briten mitkämpften.
Lindsey German, der die «Stop the War»-Koalition organisiert hatte, richtete sich an die Labor-Parlamentarier: «Der Krieg und seine Folgen lasten auf eurem Gewissen. Ihr werden diesen nicht entkommen können.»
Verteidigungsminister Fallon kam Cameron zu Hilfe. Gegenüber SkyNews sagte er: «Wir kämpfen bereits im Irak gegen den Terror. Es macht keinen Sinn, nur auf einer Seite einer künstlichen Grenze zu kämpfen, die die Terroristen selbst nicht einhalten. Wir sind bereits in diesem Kampf involviert: Unsere Bürger wurden an den Stränden Tunesiens abgeschlachtet, ein Brite wurde bei den Angriffen in Paris getötet. Traurigerweise sind wir alle Ziele.»
Unterstützung auch von Labour-Partei
Bislang beteiligte sich London nur an Luftschlägen der von den USA geführten Koalition gegen IS-Stellungen im Irak. Mit der Zustimmung war gerechnet worden, da auch in den Reihen der oppositionellen Labor-Partei nach den Anschlägen von Paris die Bereitschaft zu einem militärischen Vorgehen gegen den IS gestiegen war.
Premierminister Cameron hatte zuvor im britischen Parlament für eine Beteiligung an den Luftangriffen gegen den IS in Syrien geworben. Grossbritannien sollte seiner «Verantwortung gerecht werden» und sich bei der eigenen Sicherheit nicht auf die anderen verlassen.
Er wolle nicht vortäuschen, dass es einfache Antworten auf die Bedrohung der Jihadistenorganisation Islamischer Staat (IS) gebe, sagte Cameron. Die Situation in Syrien sei «unglaublich komplex». Ein Militäreinsatz könne nur «ein Teil der Antwort» sein.
Corbyn zweifelt Legalität der Luftschläge an
Während der Debatte am Mittwoch hatte Cameron Gegner von Luftangriffen in Syrien als «terroristische Sympathisanten» bezeichnet. Mehrere Abgeordnete forderten ihn auf, sich dafür zu entschuldigen. Der Premierminister lehnte das ab.
Der Labor-Vorsitzende Jeremy Corbyn, der die Luftangriffe ablehnt, warf Cameron vor, das Regierungsvorhaben durch das Parlament peitschen zu wollen, bevor die öffentliche Meinung sich drehe. Einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage zufolge unterstützten 48 Prozent der Briten einen Militäreinsatz. Eine Woche zuvor waren es noch 59 Prozent gewesen.
Corbyn zweifelte zudem die Legalität der Luftangriffe an und äusserte die Befürchtung, dass ihnen insbesondere Zivilisten zum Opfer fallen würden. Ein geschlossenes Abstimmungsverhalten der Labor-Abgeordneten hätte Cameron gefährlich werden können, doch bei einem Treffen mit dem Labor-Schattenkabinett wurde auf Corbyns Empfehlung beschlossen, den Fraktionszwang in dieser Frage aufzuheben. (ij/chk/sda/dapd/afp)
Daesch statt Islamischer Staat
Cameron rief derweil dazu auf, dem Vorbild Frankreichs, der Arabischen Liga und anderer Verbündeter zu folgen und für die Bezeichnung des IS die arabische Abkürzung Daesch zu nutzen. Die Jihadisten dürften durch die Bezeichnung Islamischer Staat nicht aufgewertet werden. Das Akronym Daesch ist im Arabischen negativ besetzt, weil es ähnlich klingt wie das Wort Dahes (etwa: jemand, der Zwietracht sät).
Im Irak ist Grossbritannien bereits an den Luftangriffen der US-geführten Koalition gegen den IS beteiligt. Im August 2013 hatte das britische Parlament Cameron aber die Zustimmung für einen Militäreinsatz in Syrien verweigert. Die Pariser Anschläge vom 13. November, zu denen sich der IS bekannte, trugen allerdings zu einem Stimmungswandel in Grossbritannien bei.