Sarkos Schlacht ums «unerlaubte» Fleisch

Aktualisiert

MigrationsdebatteSarkos Schlacht ums «unerlaubte» Fleisch

Der um seine Wiederwahl bangende französische Präsident Nicolas Sarkozy buhlt um Stimmen vom rechten Rand – mit Marine Le Pens Thema Halal-Fleisch.

von
Daniel Huber
Halal-Abteilung im Fleischmarkt von Rungis

Halal-Abteilung im Fleischmarkt von Rungis

In Frankreich ist Wahlkampf. Am 22. April oder spätestens in der zweiten Runde am 6. Mai entscheidet sich, wer für die nächsten fünf Jahre im Elysée-Palast residieren wird. Amtsinhaber und Kandidat Nicolas Sarkozy kommt nicht aus seinem Popularitätstief heraus und sieht sich von rechts hart bedrängt durch die Kandidatin des Front National, Marine Le Pen.

Zum Verdruss von Sarkozy ist es Le Pen gelungen, mit einem Thema zu punkten, das viele Französinnen und Franzosen brennend interessieren wird, denn es geht ums Essen. Genauer: um das Fleisch, das auf den französischen Tellern landet.

Gemäss der Zeitung «Libération» sagte die Chefin des Front National am 19. Februar in Lille: «Es ist so, dass das gesamte Fleisch, das in der Region Paris – ohne Wissen der Konsumenten – vertrieben wird, ausnahmslos Halal-Fleisch ist.» «Halal» ist arabisch und bedeutet «erlaubt»; im Zusammenhang mit Fleisch will der Begriff sagen, dass das Tier gemäss den islamischen Vorschriften ohne vorgängige Betäubung geschlachtet wurde; ähnlich wie nur geschächtetes Fleisch gemäss den jüdischen Speisegesetzen koscher ist (siehe Infobox).

Gut 30 Prozent Halal-Fleisch

Präsident Sarkozy, dem Mme Le Pen vorwarf, er gehe vor den «islamischen Radikalen» in die Knie, parierte den Angriff der Front-National-Chefin zunächst mit der Behauptung, «nur 2,5 Prozent des Fleischkonsums im Raum Paris» seien halal. Allerdings lagen weder Sarkozy noch Le Pen richtig: Nicht das gesamte in der Hauptstadtregion vertriebene Fleisch ist halal, wie Le Pen sagte, sondern das dort produzierte. Dieses lokal hergestellte Halal-Fleisch deckt aber lediglich 2,5 Prozent des Fleischbedarfs in der Region – das ist die Zahl, die Sarkozy mit dem gesamten Konsum von Halal-Fleisch verwechselte. Der Rest, halal oder nicht, wird aus anderen Regionen importiert.

Effektiv werden, in ganz Frankreich, rund 12 Prozent aller Rinder und 49 Prozent aller Schafe und Ziegen halal bzw. koscher geschlachtet. Schweinefleisch hingegen ist grundsätzlich nicht halal, da weder Muslime noch Juden es verzehren dürfen. Mit Sicherheit produzieren die französischen Schlachthöfe – für die es sich nicht lohnt, zwei verschiedene Produktionslinien zu betreiben – mehr Halal-Fleisch, als von den geschätzten sechs Millionen Muslimen, die in Frankreich leben, benötigt wird. Eine Schätzung aus dem Jahr 2008 geht von einem Anteil von gut 30 Prozent aus.

Empörte Reaktionen

Ein Teil des halal oder koscher produzierten Fleisches geht in den Export; auch in die Schweiz, wo das Schächten verboten ist. Dennoch legen diese Zahlen nahe, dass auch nichtmuslimische oder nichtjüdische Franzosen – in der Regel, ohne es zu wissen – Fleisch konsumieren, das rituell geschlachtet wurde. Da dies nicht allen gefallen dürfte, besitzt die «Halal-Kontroverse» eine gewisse politische Brisanz, die sich im Wahlkampf ausschlachten lässt.

Genau dies tat Sarkozy nach einer weiteren Umfrage, die ihm schlechte Werte bescherte, dann auch: Zuerst feuerte sein Innenminister Claude Guéant eine Breitseite gegen das kommunale Wahlrecht für Ausländer, indem er darauf hinwies, dies würde den Migranten ermöglichen, überall in den Kantinen Halal-Fleisch vorzuschreiben. Am 5. März legte Sarkozy nach und sagte, dieses Thema sei «die wichtigste Sorge, die derzeit die Franzosen beschäftigt». Empörte Reaktionen des muslimischen Dachverbands CFCM und des Zentralrats der französischen Juden CRIF löste aber erst die Bemerkung von Sarkozys Premierminister François Fillon am gleichen Tag aus. Fillon fragte sich, ob gewisse «von den Ahnen übernommene Traditionen» noch ihren Platz in der modernen Gesellschaft hätten.

Umstrittene Schlachtmethoden

Fillons Auslassungen, so darf man annehmen, sollen Stimmen am rechten Rand holen, die sonst an den Front National gehen würden. Doch darüber hinaus weisen sie auf ein konfliktträchtiges Spannungsfeld hin: jenes zwischen Religion und Staat. Es erstaunt nicht, dass Fillon im streng laizistischen Frankreich mit dem Argument angegriffen wurde, er als Premierminister habe mit seinen Äusserungen die Trennung zwischen Kirche und Staat verletzt.

Während das Verhältnis zwischen den traditionellen christlichen Konfessionen und dem Staat im Westen weitgehend ausdiskutiert ist, stossen die Bedürfnisse und Forderungen der Muslime zunehmend auf Widerstand. Beispiele dafür sind die Diskussionen über ein Burkaverbot in mehreren europäischen Ländern oder auch die Minarett-Initiative in der Schweiz. Die religiösen Speisevorschriften der Muslime und der Juden erregen oft besonderen Anstoss, da die dabei vorgeschriebene Schlachtmethode mit Anliegen des Tierschutzes kollidiert. Allerdings müssen auch dezidiert säkular eingestellte Religionskritiker einräumen, dass der Tierschutz gerade beim Verbot der jüdischen «Schechita» (Schächten) oft nur das Vehikel für antisemitische Ressentiments war. Das gilt für das Schächtverbot in der Schweiz (1893) und mehr noch für das «Dritte Reich», wo die Nazis das Schächten sofort nach der Machtergreifung verboten.

«Populistisches Wahlkampfthema»

Gleichwohl stellt sich die Frage, wie die Zukunft von religiösen Minderheiten aussieht, wenn ihre Traditionen und Werte sich immer weniger mit den Gesetzen eines modernen, säkularen Staates vereinbaren lassen. Für Herbert Winter, den Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), ist diese Frage falsch gestellt: «Man muss sich vielmehr fragen, wie ein moderner Rechtsstaat, auch ein säkularer, dazu kommt, die freie Religionsausübung seiner Bürger einzuschränken.» Zur aktuellen Kontroverse in Frankreich meint er, es sei «bedenklich, dass dieses Thema derart populistisch zu einem Wahlkampfthema gemacht wird in der offensichtlichen Absicht, damit Wählerstimmen zu gewinnen.»

Dieser Ansicht ist auch Abdel Azziz Qaasim Illi, Pressesprecher des umstrittenen Islamischen Zentralrats der Schweiz. Die Angst davor, rechts von Le Pen überholt zu werden, sei das wahre Motiv des Regierungslagers, wenn es das Thema des Halal-Fleisches aufgreife. «Es ist Wahlkampf, und es ist typisch dafür, dass er wieder einmal auf dem Buckel der Muslime ausgetragen wird, wie letztes Mal beim Burka-Verbot», meint Illi. Wie in der Schweiz bei der Minarett-Initiative finde hier eine Vermischung des Migrations- mit dem Islam-Diskurs statt. Im Übrigen, so Illi, seien nicht so sehr die Säkularen das Problem, sondern «die Islamophoben», die eher von der rechten Seite des politischen Spektrums kämen. Illi plädiert für gegenseitige Toleranz und trifft sich damit mit Winter, der sich vor allem Respekt der Menschen gegenüber Andersdenkenden wünscht.

«Es geht immer um Abwägungen»

Auch Reta Caspar, die Geschäftsführerin der Freidenker-Vereinigung der Schweiz, hält die Halal-Debatte in Frankreich für ein populistisches Wahlkampfmanöver. Dennoch ist ihr der Hinweis wichtig, dass die Religionsfreiheit nur eine Freiheit unter mehreren ist – und nicht etwa die höchste von allen. «Es geht immer um Abwägungen», betont sie. «Der Kern der Religionsfreiheit – nämlich an etwas zu glauben – ist auch dann gewahrt, wenn das Gesetz bestimmte Schlachtmethoden verbietet», fügt sie hinzu. Es sei aber durchaus möglich, das Schächtverbot, wie es im Schweizer Tierschutzgesetz besteht, mit wissenschaftlichen Argumenten in Frage zu stellen. «Es geht dann um einen Fachentscheid», sagt Caspar.

In Frankreich dürfte die Halal-Debatte derweil noch etwas anhalten. Wie auch immer – spätestens am 6. Mai werden wir wissen, ob es Nicolas Sarkozy gelungen ist, sein Amt zu retten.

Halal

Der arabische Begriff bedeutet ungefähr «erlaubt», «zulässig» und bezeichnet alle Dinge und Handlungen, die nach islamischem recht erlaubt sind. Der Gegenbegriff dazu ist «haram», der Verbotenes bezeichnet.

Bei den islamischen Essvorschriften gilt, dass alle Lebensmittel erlaubt sind, die nicht ausdrücklich verboten wurden. Verboten ist insbesondere der Genuss von Schweinefleisch, Alkohol und Blut. Bei der Schlachtung muss daher darauf geachtet werden, dass das Tier ausblutet. Traditionell wird betäubungslos geschlachtet, da man befürchtet, dass die Tiere die Betäubung nicht überleben. Die Tötung erfolgt durch einen Schnitt durch die Kehle, wobei die grossen Blutgefässe und die Speiseröhre durchtrennt werden müssen. Das Tier sollte gegen Mekka gerichtet sein.

Wie bei der Schlachtung nach jüdischen Vorschriften, der Schechita, gibt es auch Kritik an der Schlachtung nach islamischem Ritus. Vor allem Tierschützer sind der Meinung, die Schlachtmethode verursache unnötiges Tierleid. Manche Kritiker sprechen auch davon, dass aufgrund der Durchtrennung der Speiseröhre Kolibakterien in das Blut und auf das Fleisch gelangen könnten.

In der Schweiz ist die betäubungslose Schlachtung bei Säugetieren verboten; das derart hergestellte Fleisch darf aber importiert werden.

Koscher

Die jüdischen Speisegesetze (Kaschrut) regeln umfassend Zubereitung und Genuss von Speisen und Getränken. Wie im Islam ist im Judentum der Genuss von Blut tabu, da es als Sitz der Seele gilt. Bei der Schlachtung wird daher darauf geachtet, dass das Tier möglichst vollständig ausblutet; das Fleisch wird vor der Zubereitung gesalzen und gewässert, um den Anteil des Blutes zu minimieren.

Die Tötung erfolgt ohne Betäubung, da das Tier durch die Betäunung verletzt wird, was das Fleisch «treife» (nicht zum Verzehr geeignet) macht. Um das Leid des Tiers möglichst gering zu halten, muss die Klinge sehr scharf und schartenfrei sein; der Schnitt muss ohne Pause und ohne Druck erfolgen. Beim Halsschnitt müssen beide Halsschlagadern und Halsvenen, die Luftröhre, die Speiseröhre sowie beide Vagus-Nerven durchtrennt werden.

Die Schechita (Schächten) wird wie die Schlachtung nach islamischem Ritus von Tierschützern kritisert, weil sie nach deren Ansicht unnötiges Tierleid verursacht. Auch aus hygienischen Gründen ist das Schächten umstritten, da aufgrund der Durchtrennung der Speiseröhre Kolibakterien in das Blut und auf das Fleisch gelangen könnten.

In der Schweiz ist die betäubungslose Schlachtung bei Säugetieren verboten; das derart hergestellte Fleisch darf aber importiert werden.

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