Human Rights WatchTaliban rekrutieren zunehmend Kinder
In Afghanistan missbrauchen Islamisten immer öfter Kinder als «Kanonenfutter». Aber auch in den Reihen regierungsnaher Milizen und Polizeikräften kämpfen Minderjährige.

Taliban schicken gezielt Kinder in den Kampf: Ein afghanischer Junge blickt über seinen Koran. (Archivbild)
Keystone/Anja NiedringhausDie afghanischen Taliban rekrutieren laut einem heute veröffentlichten Bericht der US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zunehmend Kinder. In der nördlichen Provinz Kundus nutzen die islamistischen Aufständischen demnach auch Religionsschulen für die militärische Ausbildung von Kindern.
Taliban-Lehrer unterrichteten in den sogenannten Madrasa-Schulen Jungen schon ab sechs Jahren. Sie würden nach und nach mit dem Umgang mit Waffen und Sprengsätzen vertraut gemacht. Die meisten Kindersoldaten seien 13 Jahre und älter.
Zynisch und gesetzeswidrig
Allein im umkämpften Distrikt Tschahardara in der Provinz Kundus wurden dem Bericht zufolge im vergangenen Jahr mehr als 100 Kinder für Kampfhandlungen rekrutiert. Im September hatten die Taliban die Provinzhauptstadt Kundus in einer Blitzoffensive vorübergehend eingenommen.
Human Rights Watch sprach mit Verwandten von 13 Kindern, die im vergangenen Jahr als Talibankämpfer angeworben wurden, und verifizierte deren Angaben durch Gespräche mit Bürgerrechtsaktivisten, politischen Beobachtern und Vertretern der Vereinten Nationen. Die bei HRW für Afghanistan zuständige Expertin Patricia Gossman erklärte: «Die offensichtliche Strategie der Taliban, steigende Zahlen von Kindern in die Schlacht zu werfen, ist so zynisch und grausam wie gesetzeswidrig.» Afghanische Kinder sollten in der Schule und zu Hause bei ihren Eltern sein, statt als «Kanonenfutter» für den Taliban-Aufstand missbraucht zu werden.
Rackeakt an 12-Jährigen einer Anti-Taliban-Gruppe
Die Taliban wiesen den Bericht «kategorisch» zurück. «Die Rekrutierung von Kindern in die Reihen des Islamischen Emirats ist strikt verboten», hiess es in einer Erklärung. Die Islamisten werben nach eigenen Angaben nur Kämpfer an, deren «geistige und körperliche Reife» abgeschossen sei. «Jungen ohne Bart» würden nicht rekrutiert.
Die Uno-Sonderbeauftragte für Kinder in bewaffneten Konflikten, Leila Zerrougui, sagte Reportern in Kabul, auch regierungsnahe Milizen und Polizeikräfte machten Gebrauch von Kindern. Anfang des Monats erschossen Taliban im Süden des Landes den 12-jährigen Wasil Ahmad, der in den Reihen einer Anti-Taliban-Miliz gekämpft hatte.
Der Junge hatte sich vorübergehend einer Gruppe von bewaffneten Kämpfern gegen die Taliban angeschlossen. Zwei auf einem Motorrad fahrende Taliban schossen dem 12-Jährigen zweimal in den Kopf, als er auf dem Weg zur Schule war. Seine Ermordung wurde als Racheakt gewertet. Die Anti-Taliban-Miliz, in deren Reihen er gekämpft hatte, hatte Ahmad nach wenigen Monaten wieder verlassen, um die Schule besuchen zu können. (nag/afp)