Trump lebt – er gewinnt das scharfe Rede-Duell

Aktualisiert

Zweite TV-DebatteTrump lebt – er gewinnt das scharfe Rede-Duell

Trotz des Skandals um das Video mit seinem Sex-Talk kann Donald Trump die zweite TV-Debatte als (kleinen) Sieg betrachten. Fünf Gründe, warum.

von
Martin Suter

Einige Highlights aus der zweiten TV-Debatte zwischen Donald Trump und Hillary Clinton. (Tamedia Webvideo)

Die Fernsehdebatte vom Sonntagabend zwischen den beiden Kandidaten für die US-Präsidentschaft könnte die Kampagne Donald Trumps gerettet haben. In einem teils heftigen Wortwechsel über 90 Minuten an der Washington-Universität von St. Louis machte der New Yorker TV-Star und Immobilienunternehmer unter dem Strich mehr Punkte als Ex-Aussenministerin Hillary Clinton.

Für viele Fachleute war das um so überraschender, als gut 48 Stunden zuvor ein Videoband mit einer Tonaufnahme veröffentlicht worden war, auf der sich Trump in unflätiger und erniedrigender Sprache über seine sexuellen Eroberungen, Frauen und deren Geschlechtsorgane äussert. Fünf Gründe, warum Trump dennoch gesiegt hat.

1. Trump entschuldigte sich, blieb aber ehrlich

Es war Trump offensichtlich unangenehm, über das Videoband zu sprechen. Gleich zu Beginn sagte er: «Ich bin nicht stolz darauf. Ich entschuldige mich bei meiner Familie, bei Amerika. Aber das war nur Garderoben-Geprahle.» Damit hatte es sich. Sogleich ging Trump zu einer Diskussion über die Terrormiliz «Islamischer Staat» über, um zu unterstreichen, dass es schlimmere Dinge gibt als sein privates Gerede von vor elf Jahren. Mit dem inhaltlichen Schwenk verhinderte Trump, sich allzu sehr in die Defensive drängen zu lassen.

2. Trump holte vier Sex-Opfer von Bill Clinton ins Publikum

Im Vorfeld hatten ihm Kommentatoren geraten, in sich zu gehen und demonstrativ Reue zu zeigen. Doch das entspricht nicht dem Charakter Trumps. Hätte er es getan, wäre es als unwahrhaftig erschienen. Stattdessen holte Trump vier Frauen ins Publikum, die einst Opfer von Sex-Attacken und -Belästigungen Bill Clintons wurden. Sie sassen da wie eine Phalanx von Wächterinnen, und womöglich verhinderten sie, dass Hillary beim Thema des Videos aggressiver auf Trump losging. Als Trump die sexuellen Eskapaden Bill Clintons erwähnte, erhielt Hillary keine Gelegenheit, ihre Position als Ehefrau zu erklären. Damit hielt sich der von Trumps Gegenattacke angerichtete Schaden bei Zuschauerinnen möglicherweise in Grenzen.

3. Trump war aggressiv und drängte Clinton in die Defensive

In den nachfolgenden 60 Minuten schaffte es Trump, in praktisch jeder Antwort auch eine Kritik an Clinton einzufügen. Modellhaft gelang ihm das, als er zu seinen um 3 Uhr morgens ausgesendeten Tweets gegen Miss Universe befragt wurde. Sofort fragte Trump zurück, wo denn Clinton um 3 Uhr gewesen sei, als die US-Mission in Bengasi, Libyen, angegriffen wurde. In der Folge blieb Clinton mehrheitlich in der Defensive – ganz im Gegensatz zur ersten Debatte, wo sie dominiert hatte.

4. Trumps inhaltliche Schwächen spielten eine kleinere Rolle

Hillary Clinton konnte als erfahrene Politikerin bei allen angesprochenen Themen detailliert Auskunft über Probleme und Optionen geben. Im Vergleich blieb der Politnovize Trump schablonenhaft. Bei einer Frage über die Syrienpolitik verhedderte er sich in verwirrende Aussagen. Doch Trumps Vereinfachungen blieben den TV-Zuschauern wahrscheinlich stärker in Erinnerung als Clintons Komplexitäten. Insgesamt drehte Trump die Diskussion erfolgreich von einer Kritik an seiner Person zu einer negativen Bilanz ihrer 30 Jahre in der Politik. Am Schluss erschien sie als Figur des Status quo und er als Agent des Wandels.

5. Trump musste in erster Linie seine Kampagne retten

Der Republikaner konnte die Debatte auch als Erfolg verbuchen, weil für ihn die Latte sehr tief hing. Seit der Veröffentlichung des Videobands war seine Kampagne auf der Notfallstation. Stündlich sprangen mehr republikanische Politiker ab und kündigten ihm ihre Unterstützung auf. Trumps Hauptaufgabe war es, diese Blutung zu stoppen. Mit einer überraschenden Bravourleistung scheint ihm das gelungen zu sein. Daher das – minimale – Ergebnis: Als Präsidentschaftskandidat ist Trump noch am Leben.

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