Kampf gegen ISIst mit dem Horror-Video ein Wendepunkt erreicht?
Bei lebendigem Leib verbrannt: Die Brutalität des IS erreicht eine neue Dimension. Die Ermordung des jordanischen Piloten könnte eine Wende im Kampf gegen den IS sein.
Der orange Overall ist mit Benzin durchtränkt. Der Blick versteinert. Er hebt die Hände zum letzten Gebet. Dann zünden Vermummte eine Benzinspur an. Die Flammen schlagen auf den Käfig über. Ein letzter Aufschrei – und der Mann verbrennt bei lebendigem Leib. Ein Bulldozer macht seine Überreste dem Erdboden gleich.
Die Bilder der Ermordung des 26-jährigen jordanischen Piloten Muaz al-Kasaesbeh durch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) sind haarsträubend. Der Mord soll schon vor einem Monat stattgefunden haben – veröffentlicht hat der IS die Aufzeichnungen erst jetzt. Nach zahlreichen Enthauptungen (zuletzt von der japanischen Geisel Kenji Goto) stellt die brutale Tat eine Eskalation der Gewalt vonseiten des IS dar, so Andrew Tabler vom Washington Institute für Nahost Policy gegenüber dem «Wall Street Journal». Dies sei ein Wendepunkt, sagt auch der Fox-News-Terrorismus-Experte Walid Phares.
Gewalt zu Rekrutierungszwecken
Das Verbrennungs-Video richtet sich nicht primär an den Westen, sondern vor allem an Muslime – im Sinne von: «Du hast den richtigen Pfad (im Islam) verlassen», wie der «New York Observer» ausführt. Neben dem Richten über die Muslime bezweckt das Video vor allem eines: Es verbreitet Angst.
Das Schock-Video dient wohl auch zu Rekrutierungszwecken. In Rakka, der in Syrien gelegenen De-facto-Hauptstadt der Terrormiliz, wurde die Verbrennung des jordanischen Piloten auf Grossleinwänden ausgestrahlt, wie Aktivisten berichteten. Um potenzielle und bestehende IS-Anhänger zu wappnen, hat der IS eine Begleiterklärung herausgegeben. «Menschen werden sich fragen, ob dies von der Religion gerechtfertigt ist oder nicht», heisst es darin laut «Daily Mail». Und weiter: «Die meisten Gelehrten denken heute, es ist in Ordnung, das Opfer zu verbrennen.»
«Hätten es verdient, getötet zu werden»
Muslimische Experten widersprechen vehement. So hat die Azhar-Universität in Kairo, die mit ihrer Rechtsprechung für Millionen Muslime sunnitischer Glaubensrichtung wegweisend ist, die Gewaltakte scharf verurteilt. Diese Barbarei werde von Gott nicht anerkannt, sagte Ahmed al-Tajib, Imam an der Al-Azhar-Moschee, die zur Universität gehört. Die Verbrennung von al-Kasaesbeh verstosse gegen die im Islam verbotene Verstümmelung von Leichen. Dies gelte auch für Kriegszeiten. Der IS sei eine «teuflische» Organisation, die einen Krieg gegen Gott führe. Die Extremisten hätten es verdient, dass sie getötet, gekreuzigt oder ihnen die Gliedmassen abgehackt würden, sagte Al-Tajeb.
Obwohl sich die Dschihadisten auf islamische Rechtsprechungen beriefen, gebe es keinerlei Grundlagen, die diese Art der «Strafe» rechtfertigten, sagte Al-Tajib. «Das ist ein bösartiger Akt, der von allen Religionen abgelehnt wird.» Diese klaren Aussagen zeigen, dass sich die jüngste Aktion des IS als Eigentor entpuppen könnte. Potenzielle Kämpfer könnten durch die rohe Gewalt eher abgeschreckt werden.
«Kriegsnormen treffen auf den IS nicht mehr zu»
Die neue Stufe roher Gewalt dürfte die arabischen Staaten aufrütteln. Die brutale Ermordung eines Kriegsgefangenen zeigten, dass «die Normen, die normalerweise in einem Krieg gelten, auf den IS nicht mehr zutreffen», sagt Terrorismus-Experte Phares. «Normalerweise tötet man einen Gefangenen nicht vor einer Kamera und verbrennt ihn.»
Jordanien und die anderen arabischen Länder würden dies als «sehr ernsthaften Bruch von internationalem Recht» sehen, so Phares weiter, die Länder müssten ihre Strategie ändern: «Sie wissen jetzt, dass ihre Piloten oder Militärs dasselbe Schicksal erwartet, wenn sie gefangen genommen werden.»
«Strategie der Zerstörung»
Nicht zuletzt ist das Verbrennungs-Video für die internationale Anti-Terror-Koalition von Bedeutung. Diese «muss ihre Bemühungen verstärken», fordert Peter Brookes, Senior Fellow an der Heritage Foundation gegenüber Fox News. «Wenn sie dies nicht tut, werden wir mehr solche Taten sehen.» US-Präsident Barack Obama erklärte nach der Veröffentlichung des Verbrennungsvideos, das Anti-IS-Bündnis werde nun mit doppelter Entschlossenheit gegen die Terroristen vorgehen.
Terrorismus-Experte Phares fordert gar, dass die USA im Kampf gegen den IS künftig eine Strategie der Zerstörung führen und sich nicht mehr nur auf eine Eindämmung beschränken.
Doch eine flächendeckende, zerstörerische Strategie vergrössert auch das Risiko, Zivilisten zu treffen. Und das könnte ebenfalls eines der Ziele dieses Horrorvideos sein. Denn Opfer unter Zivilisten könnten Ressentiments gegen die Anti-IS-Koalition in der lokalen Bevölkerung hervorrufen – und die Menschen in die Arme der Terroristen treiben.