Occupy-Wallstreet-JubiläumDas Fähnlein der Aufrechten
Zwei Jahre und ein bisschen müde: Die Bewegung Occupy Wall Street feiert in Manhattans Zuccotti-Park ihren zweiten Geburtstag – ohne viel Aufsehen zu erregen.
Es war ein erfrischender Herbstmorgen, die Sonnenstrahlen wärmten. Dennoch blieb der Zuccotti-Park in New Yorks Finanzdistrikt gestern überwiegend leer. Nur etwa 150 Bewegte mochten sich an dem Ort einfinden, wo vor genau zwei Jahren die Protestbewegung Occupy Wall Street ihre Geburtsstunde hatte.
Sicher ein Drittel der Anwesenden waren Journalisten, die das Wiegenfest in Bild und Ton festhielten. An deren Zahl heran kam jene der Polizisten, die dutzendfach rund um den mit Absperrungen gesicherten Park in Stellung gingen. Zusammenstösse und Massenverhaftungen wie ehedem wollten die Cops diesmal von Anbeginn verhindern.
Randale unerwünscht
Die Vorkehrungen der Uniformierten wären nicht nötig gewesen. Die Protestierenden sind in friedlicher Stimmung. Zuweilen übertönt fröhliches Singen die Reden vom Mikrophon. Ein Mann und eine Frau am Rand des Parks haben Persönliches zu feiern. «Wir sind ein », sagt Carol Brown und erzählt, dass sie ihren Partner Bob Broadhurst vor zwei Jahren im ursprünglichen Protestlager kennengelernt habe. «Wir campierten fünf bis sechs Wochen und wurden einmal verhaftet – das brachte uns zusammen.»
Broadhurst ist Elektriker und Mitglied der örtlichen Gewerkschaft in Boston. Er ist stolz, dass «Occupy» den Slogan von den 99 Prozent gegen die 1 Prozent in den politischen Diskurs eingeführt hat. Doch er macht sich keine Illusionen über die Wirksamkeit der Bewegung: «Sie hat die 1 Prozent nicht daran gehindert, die Politik zu kaufen.»
Gewerkschafter gehörten vor zwei Jahren und gehören auch heute zu den Stützen der Bewegung. Aber nicht nur sie feiern am Geburtstag mit, auch die anderen für Occupy-typischen Figuren: Ein älterer Mann in Parka und Armeemütze hat auf einem Steintisch Broschüren und Pamphlete für «Socialist Action» ausgebreitet. Ein Mann hinter einer «Anonymous»-Gesichtsmaske beschreibt sich auf einer Kartontafel als «wütenden Pazifisten». Eine grössere Gruppe mit handgemalten Protestschildern umrundet singend den Park. «Wir dürfen nicht hinein», erklärt einer von ihnen lachend. «Die Polizei sagt, unsere Plakate seien Waffen.»
Spezialanliegen dominieren
Viele haben ihre Spezialthemen. Unter dem Kostüm eines Sensenmanns mit Totenmaske verbirgt sich ein Gegner der «Fracking»-Gasförderung. Der Kunstlehrer Jim Costanzo fordert einen Schuldenerlass und die Verstaatlichung der Federal Reserve. Die weisshaarige Morgan Jen protestiert gegen die politischen Einflüsterer aus dem Grosskapital. Das Plakat des Abwarts Norman Shusterman aus Brooklyn verkündet, dass der wahrscheinliche Nachfolger von Michael Bloomberg alle retten werde: «Bill de Blasio will save us.»
Der Bürgermeister-Kandidat hat sich vor zwei Jahren mehr als die meisten Lokalpolitiker hinter Occupy gestellt. Die Bewegung habe «die wachsende Krise der Einkommensungleichheit ans Tageslicht gezerrt», sagte de Blasio am Montag. Eine Mehrheit der Occupy-Protestierenden dürfte jedoch allen Politikern mit viel Skepsis begegnen. Vor allem auf den einstigen Hoffnungsträger Präsident Barack Obama ist niemand mehr gut zu sprechen, weil er angeblich die Wall Street unbehelligt liess und von neuen Kriegen spricht.
Gegen Mittag setzten sich die Demonstranten in Bewegung Richtung Norden. Man will erst im Washington Square Park, dann auf dem Times Square und vor den Vereinten Nationen von sich hören lassen. Für den Abend ist eine Abschlusskundgebung geplant, natürlich im Zuccotti-Park.