Smog in Shanghai«Ich trage zwei Masken übereinander»
Nicole R. lebt mit ihrem Mann und ihrem zehn Monate alten Sohn seit fünf Jahren in Shanghai. Wegen der extremen Luftverschmutzung denken sie an einen Wegzug.
«Der Staub kriecht in alle Körperöffnungen, es brennt im Hals, man muss sich ständig räuspern», beschreibt Nicole R. die Auswirkungen der massiven Smogbelastung, unter der Shanghai seit Donnerstag leidet. Die Konzentration der gefährlichen Feinstaubpartikel hat dabei neue Höchstwerte erreicht. Am Freitagnachmittag wurden 602 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft gemessen, wie die «South China Morning Post» berichtet. Das ist das 24-fache des von der Weltgesundheitsorganisation WHO als unbedenklich eingestuften Werts von 25 Mikrogramm. Es gilt die Warnstufe «orange», die zweithöchste in Chinas vierstufigem Smog-Warnsystem.
Die Sicht in der Hafenstadt ist durch dichten, grauen Nebel stark eingeschränkt. «Ich kann noch knapp eine Häuserzeile weit sehen», sagt R., die zusammen mit ihrem Mann und ihrem zehn Monate alten Kind im 13. Stock eines Wohngebäudes lebt. Der Staub in der Luft liesse sich überall nieder, auf Kleidern, Möbeln, Autos, den Menschen. «Die Luftverschmutzung hier so extrem, dass man alle zwei Tage staubsaugen muss. Hat man die Kleider draussen zum trocknen aufgehängt und schüttelt sie aus, ist man von einer riesigen Staubwolke umgeben.»
Keine Umgebung für Kinder
Sie habe in den fünf Jahren, die sie bisher in Shanghai verbrachte, noch nie so starken Smog erlebt. Die Behörden empfehlen denn auch, sich möglichst nicht im Freien aufzuhalten, körperliche Anstrengungen zu vermeiden und Atemschutzmasken zu tragen. «Ich trage heute gleich zwei Masken übereinander», sagt R. Am Donnerstag und Freitag seien die Stadtbewohner sogar dazu angehalten worden, nicht arbeiten zu gehen. Auch dort herrscht vielerorts dicke Luft. «Der Dreck dringt wegen schlechter Isolation sogar bis in die Büroräume», sagt R. Sie sei daher froh, werde die Luft in ihrer Wohnung von einem Luftreiniger gefiltert. «Viele Chinesen können sich so ein Gerät aber nicht leisten.»
Die Baslerin habe gelernt, mit der enormen Luftverschmutzung der Millionenmetropole zu leben. «Seit unser Kind da ist, nehmen wir den Dreck aber viel stärker wahr.» Sie wolle nicht, dass ihr zehn Monate alter Sohn in einer so stark verschmutzten Umwelt aufwachse. Er war wegen dem Smog seit über einer Woche nicht mehr draussen. Das sei keine Umgebung, um ein Kind grosszuziehen, sagt R. Zusammen mit ihrem Mann überlegt sie sich, in den USA ein zweites Zuhause aufzubauen. «So müssten wir nicht mehr so oft hier sein.»
China und der Smog
Nicht nur Shanghai, auch andere chinesische Metropolen leiden unter der starken Luftverschmutzung. Laut einem Bericht des nationalen Zentrums für Meteorologie ist fast der ganze Osten und Süden Chinas in Smog gehüllt. Die Feinstaub-Werte liegen in Peking, Nanjing, Wuxi und Suzhou momentan zwischen 200 und 500 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, wie der chinesische Air Quality Index zeigt. Die Werte werden von der WHO als stark gesundheitsgefährdend eingestuft.
Mit Fahrverboten oder Auflagen beim Autokauf will die chinesische Regierung daher die Luftqualität verbessern. In Peking, wo die Massnahmen seit einigen Jahren in Kraft sind, lassen deutliche Verbesserungen aber auf sich warten. Derweil beklagen sich die Nachbarn Japan und Südkorea über Smog-Wolken, die vom chinesischen Festland her über die Inseln ziehen.