Druck auf die UkraineDeutsche drohen mit Euro-2012-Boykott
Deutsche Politiker aus allen Lagern gehen mit der Ukraine wegen der schlechten Behandlung von Julia Timoschenko scharf ins Gericht. Die Aussagen des Sportministers lassen aufhorchen.

Julia Timoschenko (Mitte) ist im Hungerstreik: Dieses Bild löste die Debatte um einen Boykott der EM aus. Der deutsche Sportminister Hans-Peter Friedrich droht, Vitali Klitschko hofft.
Der Druck auf die Ukraine vor der Fussball-Europameisterschaft 2012 wird grösser. Deutschland hat auf breiter Front die schlechten Haftbedingungen von Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und anderen Häftlingen kritisiert, Bundespräsident Joachim Gauck hat gar einen Besuch im osteuropäischen Land abgesagt.
Alle grossen Parteien begrüssten am Donnerstag die Entscheidung von Gauck, die Reise abzusagen. Aussenminister Guido Westerwelle forderte eine angemessene medizinische Betreuung der Inhaftierten. Westerwelle drohte der Ukraine, dem gastgebenden Land der Fussball-Europameisterschaft, mit Konsequenzen in den Beziehungen zu Deutschland und der EU.
Sportminister droht
Und nun wird sogar ein politischer Boykott der Euro nicht mehr ausgeschlossen. Der deutsche Innen- und Sportminister Hans-Peter Friedrich sagte deutschen Medien, er «habe ein Problem damit, als Sportminister bei Fussballspielen während der EM zu sitzen und zu wissen, da wird Kilometer entfernt jemand nicht nach den Regeln, die wir uns gemeinsam gegeben haben in der zivilisierten Staatenwelt, behandelt».
Westerwelle betonte, er habe der Regierung in Kiew noch einmal das Angebot gemacht, dass Timoschenko in Deutschland behandelt wird. Die frühere Ministerpräsidentin soll sich im Hungerstreik befinden und gewaltsam in ein Krankenhaus verlegt worden sein.
Roth will kein Fussballspiel in der Ukraine anschauen
Die Chefin der Grünen, Claudia Roth, fordert eine harte Linie: «Kein Bundestagsabgeordneter sollte in dieser Situation EM-Spiele in der Ukraine besuchen,» sagte sie «Spiegel Online». Sie selbst wolle mit gutem Beispiel vorangehen.
Westerwelle sagte lediglich, die Bundesregierung unterstütze keine Boykottaufrufe zur EM. Der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Martin Löning, lehnte einen Boykott klar ab. «Ich finde es sehr richtig, wie sich der DFB und insbesondere Herr Niersbach geäussert hat, nämlich sehr klar für Menschenrechte, für Meinungsfreiheit. Ich glaube, wir erreichen mehr, wenn die Welt hinschaut und auch hinter die Kulissen in der Ukraine schaut.
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hatte sich am Mittwoch dem Appell der Bundesregierung nach medizinischer Behandlung Timoschenkos angeschlossen. Einen Boykott der Spiele für die deutsche Fussball-Nationalmannschaft schloss er aber klar aus.
Ukraine versucht zu beruhigen
In der Ukraine reagiert man auf die Kritik aus dem Westen. Boxweltmeister und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko fordert in der Bild-Zeitung zum Besuch der Euro auf: «Ich möchte alle Fans bitten, zur EM in die Ukraine zu reisen und ihr Team zu unterstützen – trotz der traurigen Lage von Julia Timoschenko. Die Menschen in der Ukraine hätten es nicht verdient, wenn sie jetzt international isoliert werden.»
Präsident Viktor Janukowitsch hat Ermittlungen zu dem Fall angeordnet. Beobachter vor Ort äusserten jedoch Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ankündigung vom Donnerstagabend, da die Vorwürfe der Oppositionspolitikerin unter Berufung auf eine offizielle Untersuchung in dieser Woche bereits zurückgewiesen worden waren. (aeg/dapd)