Putins schwulenfeindliche Zuchtmeisterin

Aktualisiert

Jelena MisulinaPutins schwulenfeindliche Zuchtmeisterin

Die russische Parlamentarierin Jelena Misulina ist knallhart, wenn es um Sitte und Moral geht. Das soll Putins konservative Basis stärken. Wie es aussieht, mit Erfolg.

von
Laura Mills
AP

Jelena Misulina hat das nüchterne Auftreten und den straff gewundenen Haarknoten einer gestrengen Internatsleiterin. Tatsächlich scheint sie wenig Pardon zu kennen. Als Wladimir Putins neue Topkämpferin für Moral hat sich die Vorsitzende des Komitees für Familie, Frauen und Kinder an die Spitze von Bemühungen gestellt, Zucht im Land sicherzustellen - von der Beschneidung der Homosexuellen-Rechte über ein Fluchverbot im Internet bis hin zu einer Besteuerung von Scheidungen.

Liberale Kritiker in Russland nennen die 58-jährige Parlamentarierin eine «Inquisitorin», und auch im westlichen Ausland hat sie Aktivisten auf den Plan gebracht. Aber bei der sozialkonservativen Mehrheit der Russen, die Putins Basis bildet, findet ihr Kurs als moralische Vollstreckerin offenbar Anklang. Seit Putin im vergangen Jahr ins Präsidentenamt zurückkehrte, hat er seine bröckelnde Unterstützung in der Bevölkerung gestärkt, indem er sich der russisch-orthodoxen Kirche zuwandte und wie diese die traditionellen Werte betont.

Gegen Homo-Partnerschaften und Scheidung

Dieser Konservativismus wird als krasser Gegensatz zu dem dargestellt, was im Westen vor sich geht - nach Kreml-Lesart ein Sittenverfall, der die russische Gesellschaft bedroht.

Misulinas Komitee hat bereits eine Reihe von Gesetzen und Projekten bewirkt, die traditionelle russische Werte fördern sollen. Unermüdlich warnt die «Zuchtmeisterin» vor einem moralischen und demografischen Abstieg Russlands, wo stetig niedrige Geburtenraten die Bevölkerungszahl geschrumpft haben. Was tun? Misulina sieht ein Rezept darin, Homo-Partnerschaften zu bekämpfen und Scheidungen zu erschweren.

Eine Familie hat idealerweise drei Kinder

Jüngster Coup: ein Gesetz zum Verbot «homosexueller Propaganda», das im Juli in Kraft trat. Es sieht Geldstrafen für Einzelpersonen und Firmen - so auch Medien - vor, die etwas propagieren, «das die Entstehung nichttraditionellen sexuellen Verhaltens fördert».

«Natürlich dreht sich Familienpolitik um die Frage, was wir in Russland als Familie betrachten», sagt Olga Batalina, stellvertretende Komiteevorsitzende und enge Misulina-Mitstreiterin, der Nachrichtenagentur AP. In Russland bestehe eine Familie aus Mann, Frau und Kindern, am besten mindestens drei der letzteren. Misulina selbst lehnte ein AP-Interview ab.

Boykottaufruf nach Attacken auf Schwulen

In einem politischen Planungspapier vom vergangenen Mai drang der Ausschuss auf eine verstärkte Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in Familienfragen, mehr finanzielle Hilfen für Familien und auf die Einführung einer Scheidungssteuer. Ironischerweise wurde das Konzept ausgerechnet in jener Woche veröffentlicht, in der Putin seine eigene Scheidung bekanntgab.

Im Westen hat insbesondere das Vorgehen gegen Homosexuelle scharfe Kritik ausgelöst. Es gibt Forderungen nach einem Boykott russischen Wodkas in Schwulenbars und gar nach einem Boykott der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi. Aber in Russland hat das Anziehen der Daumenschrauben für Schwule wenig Aufregung verursacht.

Russen halten Homosexualität für Krankheit

Nach einer Umfrage des unabhängigen Lewada-Zentrums vom Mai ist die Zahl der Russen, die Homosexualität entweder als «zügellos» oder als eine «Krankheit infolge eines psychologischen Traumas» betrachten, in den vergangenen Jahren gestiegen - von 68 Prozent 1998 auf 78 Prozent in diesem Jahr. Während 2005 noch 51 Prozent der Russen gleiche Rechte für Schwule und Lesben befürwortet hätten, sei die Zahl 2013 auf 39 Prozent gesunken.

Die Intoleranz habe im vergangenen Jahr deutlich zugenommen, nachdem das Thema Homosexualität in der politischen Diskussion immer häufiger aufgetaucht sei, stellt Soziologin Maria Plotko vom Lewada-Zentrum fest. Schwulenfeindliche Propaganda falle auch deshalb leicht auf fruchtbaren Boden, weil - belegt durch Umfragen - nur wenige Russen persönlichen Kontakt zu einem Schwulen oder einer Lesbe hätten.

Schwulenaktivist soll «Propaganda im Leichenwagen betreiben»

Können sich also Misulina und Batalina verbreiteter Unterstützung erfreuen, heisst das nicht, dass sie Kritik gelassen aufnehmen würden. Im Gegenteil: Sie scheuen sich nicht, lautstarke Kritiker vor Gericht zu bringen. Zu diesen gehört Nikolai Alexejew, prominenter Sprecher der Homosexuellen-Gemeinschaft in Russland. Er wirft Misulina und ihren Mitstreitern vor, den Schwulenhass zu fördern, Benzin ins Feuer zu giessen: «Am Ende werden sie uns alle verbrennen.»

Auf Betreiben der beiden Frauen sind strafrechtliche Ermittlungen gegen Alexejew und andere Schwule eingeleitet worden, wegen Verleumdung und «Beleidigung eines Vertreters der Regierung». Man sei zum Schluss gekommen, ein Exempel zu statuieren, sagte Misulina kürzlich in einem Radio-Interview. Alexejews Kritik habe darauf abgezielt, «die öffentliche Meinung gegen uns zu richten und uns wie verrückte alte Tanten aussehen zu lassen». Der Zeitung «Iswestija» zufolge soll sie als Strafe empfohlen haben, dass Alexejew mit Gemeindearbeit bestraft wird - «irgendwo da, wo er keine Schwulen-Propaganda betreiben kann, etwa in einem Leichenwagen».

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