Balkan-JahrhundertflutAngst vor Erdrutschen – und 120'000 Minen
Langsam nur entspannt sich die Hochwasserlage in Ost- und Südosteuropa. Doch jetzt wächst die Angst vor Erdrutschen. Und einem explosiven Erbe aus dem Bosnienkrieg.
Nach den verheerenden Unwettern in Ost- und Südosteuropa entspannt sich die Hochwasserlage allmählich – und enthüllt die Ausmasse der Katastrophe. Besonders in den bosnischen Überflutungsgebieten werden zahlreiche Tote beklagt.
Im benachbarten Serbien war die Lage in den Städten Sabac, Mitrovica und Kostolac unter Kontrolle, wie die Einsatzkräfte mitteilten. Die am schlimmsten betroffene Stadt Obrenovac vor den Toren Belgrads war am Sonntag noch überschwemmt.
Der Leiter des serbischen Notdienstes, Predrag Maric, bestätigte, es habe Tote in der Stadt gegeben. Genaueres werde man aber erst sagen können, wenn die Lage übersichtlicher sei. Am Freitag hatten die serbischen Behörden von landesweit fünf Toten gesprochen.
Minen bis zur Donau und ins Schwarze Meer
Doch auch wenn sich die Hochwasserlage etwas entspannt hat: Eine Hinterlassenschaft aus dem Bosnienkrieg weckt neue Ängste: So haben Wassermassen zahlreiche Minen aus markierten Minenfeldern weggerissen. Sie könnten sie über die in die Save mündenden bosnischen Flüsse bis zur Donau und das Schwarze Meer spülen, erklärten Experten am Sonntag.
Vor dem Hochwasser – dem schwersten seit Beginn der Aufzeichnungen vor 120 Jahren – waren noch 120'000 Minen in markierten Minenfeldern vergraben. Ein Sprecher des Bosnischen Minenzentrums, Sasa Obradovic, sagte, seine Behörde werde am Montag Experten in die Regionen schicken. «Minen sind jetzt in Gegenden aufgetaucht, wo nie welche gewesen sind», sagte er.
Das Minenproblem könnte durch das Hochwasser auch in die Nachbarländer gelangen: Bosnische Flüsse münden in die Save, die entlang der kroatischen Grenze nach Serbien fliesst und dort in die Donau mündet, die weiter durch Bulgarien und Rumänien zum Schwarzen Meer fliesst.
Experten zufolge könnten Minen aus Bosnien so durch halb Südosteuropa gelangen und die Turbinen eines Wasserkraftwerks gefährden. «Wir werden mit Kroatien und Serbien zusammenarbeiten, um das Problem zu lösen», sagte Obradovic.
Rund 300 Erdrutsche allein in Bosnien
Der bosnische Flüchtlingsminister Adil Osmanovic sagte, sein Land sei mit einer Katastrophe konfrontiert. Rund 300 Erdrutsche nach viertägigem Starkregen blockierten Strassen, begruben Häuser und ganze Dörfer unter sich.
Ein Viertel der Fläche Bosnien-Herzegowinas stand unter Wasser. In der Umgebung der ostbosnischen Stadt Bijeljina an der Save mussten an die 10'000 Menschen ihre Häuser verlassen. In dem gefluteten Gebiet leben eine Million Menschen – ein Viertel der Bevölkerung des Balkanstaates.
In Kroatien und Serbien wurde im Laufe des Sonntags ein weiteres Ansteigen der Pegelstände Hochwasser führender Flüsse erwartet.
In Kroatien flohen Hunderte, in Serbien mehr als 20'000 Menschen vor den Fluten. «Was uns jetzt geschieht, passiert nicht einmal in hundert, sondern einmal in tausend Jahren», sagte der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vucic im serbischen Fernsehen. «Aber es sollte bis Mittwoch vorüber sein.» (gux/sda)