Das Versagen der Geheimdienste Europas

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InformationsaustauschDas Versagen der Geheimdienste Europas

Die Terroranschläge in Brüssel zeigen, woran es den Ermittlungsbehörden der europäischen Länder fehlt: an der Kommunikation.

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Nach den Anschlägen in Brüssel stehen Behörden, Polizei und Geheimdienst von Belgien in der Kritik. Warum konnte man die Taten nicht verhindern? In zahlreichen Medien haben ebenso zahlreiche Experten dazu Stellung bezogen. Der einhellige Tenor: Die belgischen Behörden sind überfordert. Das tönt manchmal so direkt und brutal wie beim französischen Abgeordneten Alain Marsaud: «Entweder war Salah Abdeslam sehr schlau, oder die belgischen Dienste sind Nullen – was wahrscheinlicher ist.»

Nicht weniger deutlich, aber differenzierter sagte es der deutsche Terrorismusexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik der «ARD»: «Belgien hat schwache Sicherheitsbehörden. Nicht weil sie ihr Handwerk nicht verstehen, sondern weil das politische System ganz einfach nicht viel mehr zulässt.»

Politik hat Probleme ignoriert

Pieter van Ostayen, Journalist beim «Wall Street Journal» und Experte für Jihadismus in Belgien, meint, die Regierung habe schlicht weggeschaut. «Sie wollten sich nicht mit diesem Problem auseinandersetzen, bis es dann eben zu spät war.» In diese Kerbe schlägt auch der belgische Terrorismusexperte Claude Moniquet. Im Brüsseler Viertel Molenbeek habe über Jahre eine Radikalisierung stattgefunden, die von der Politik einfach ignoriert worden sei. Das sei leider keine Überraschung.

Hinzu kommt ein ausgeprägter Föderalismus in Belgien und ein tiefer Graben zwischen den Bevölkerungsgruppen von Flamen und Wallonen. So sind Verfassungsschutz und militärische Aufklärung in föderalen Behörden organisiert. Zuständigkeiten und Ressourcen werden stark regional verteilt und wenig zentralisiert. Das erschwert eine schnelle, direkte Kommunikation, wie die letzten Wochen und Monate gezeigt haben. Alain Winants, ehemaliger Chef des Staatssicherheitsdienstes, beklagte sich laut der «Zeit» vergangenes Jahr über einen gravierenden Personalmangel in seiner Behörde.

Ein gesamteuropäisches Versagen

Doch das Problem einzig auf die belgischen Behörden zu schieben, greift für Geheimdienstexperten zu kurz. Vielmehr müssten Geheimdienste und Polizeibehörden europaweit endlich besser zusammenarbeiten. Guido Steinberg meint dazu: «Ich bin in dieser Debatte immer wieder erstaunt darüber, was eigentlich alles nicht ausgetauscht wird.» Seit dem 11. September 2001 spreche die Politik von einem erweiterten Datenaustausch der Sicherheitskräfte in Europa. «Es ist vollkommen inakzeptabel, dass da so wenig passiert.» Problematisch sei zudem, dass die Geheimdienste verschiedener Länder sehr unterschiedliche Levels von Professionalität hätten. Wirklich stark ausgebaut seien eigentlich nur jene in Frankreich und Grossbritannien.

Steinbergs Kollege Markus Kaim sieht ein grosses Problem darin, dass es nicht einmal eine gesamteuropäische, zentralisierte Datenbank für die Ermittlungsergebnisse der Pariser Anschläge von Ende 2015 gebe. Die Attentate von Paris und Brüssel seien damit auch ein gesamteuropäisches Versagen: «Beobachter weisen seit Jahren darauf hin, dass zwischen den Polizeibehörden und Geheimdiensten ein Mangel an Informationsaustausch herrscht.»

«Ein Weckruf für alle»

Auf einen verbesserten Informationsaustausch drängte auch der Australier Kevin Rudd vom Asia Society Policy Institute gegenüber dem TV-Sender CNBC: «Der entscheidende Faktor ist, die Informationslücken zu schliessen.» Man müsse den Polizeibehörden und Geheimdiensten die nötigen Befugnisse geben, um mit den aktuellen Umständen klarzukommen. Das ist keine Kritik an Belgien, sondern ein Weckruf an alle, die in diese Debatte involviert sind.»

Eine Kommentatorin der Plattform Rp-online.de fasst zusammen: «Geheimdienste symbolisieren für die Länder Europas ein Stück nationalstaatliche Souveränität. Doch lauter demokratische Kleinstaaten, die sich gegenseitig geheimdienstlich abschirmen, haben nicht verstanden, wo der

Feind steht.»

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