Die «Nafri»-Debatte hält Deutschland in Atem

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RassismusvorwurfDie «Nafri»-Debatte hält Deutschland in Atem

Seit Tagen diskutiert Deutschland den «Nafri»-Tweet der Kölner Polizei. Der Sprachforscher Anatol Stefanowitsch erklärt, warum der Begriff ein Problem ist.

von
Mareike Rehberg
Strenge Sicherheitsvorkehrungen an Silvester: Ein Polizeifahrzeug steht in der Kölner Fussgängerzone. (31. Dezember 2016)
Polizisten umringen am 31. Dezember 2016 vor dem Kölner Hauptbahnhof eine Gruppe von Männern.
Die Bundespolizei habe zuvor gemeldet, dass «hochaggressive» Gruppen nach Köln unterwegs seien. Die Polizei habe dann verstärkt Kontrollen durchgeführt.
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Strenge Sicherheitsvorkehrungen an Silvester: Ein Polizeifahrzeug steht in der Kölner Fussgängerzone. (31. Dezember 2016)

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In Deutschland ist seit der Silvesternacht eine hitzige Debatte um das Wort «Nafri» – eine Abkürzung für nordafrikanische Intensivtäter – entbrannt. Mit einem Interview vom Donnerstag hat der Verkehrsminister Alexander Dobrindt nun noch mehr Öl ins Feuer gegossen.

Gegenüber der «Passauer Neuen Presse» verwendete der CSU-Politiker den umstrittenen Begriff und sagte: «Die Menschen wollen klare Antworten auf die Frage, wie der Staat bestmöglich für ihre Sicherheit sorgt und sie zum Beispiel vor Nafris schützt.»

Prompt hagelte es Empörung. Der Minister sei «ein rassistischer Hetzer, für den alles Böse aus dem Ausland kommt», sagte Linke-Chefin Katja Kipping der gleichen Zeitung. SPD-Vize Ralf Stegner warf Dobrindt vor, «mit aufgeladenen Begriffen zu zündeln, um Ressentiments zu schüren», und Grünen-Politiker Volker Beck nannte Dobrindts Äusserung «herabwürdigend, beleidigend und ausgrenzend».

Begriff aus der Funksprache

Losgetreten wurde die Debatte durch einen Tweet der Kölner Polizei, für den sich Polizeipräsident Jürgen Mathies kurz darauf nach massiver Kritik entschuldigte.

Rassismusvorwürfe, wie sie etwa von der Grünen-Chefin Simone Peter kamen, wies Mathies allerdings zurück. Ein Facebook-Eintrag des Ex-Polizisten und Mixed-Martial-Art-Profis Nick Hein, der den Ausdruck «Nafri» als Begriff aus der Funksprache verteidigte und die Kölner Polizei in Schutz nahm, wurde über 90'000-mal gelikt und fast 18'000-mal geteilt.

Pauschalisierung und Doppeldeutigkeit

Der deutsche Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hält die «Nafri»-Debatte dagegen für gerechtfertigt. Der Linguist nahm den Begriff für sprachlog.de auseinander und hält die Abkürzung vor allem wegen ihrer Doppeldeutigkeit für gefährlich.

«Der eigentliche Aufreger ist, dass die Polizei ihre eigene Definition nicht zu kennen scheint», sagt Stefanowitsch zu 20 Minuten. Ein «Nafri» bedeute für die Polizei einen nordafrikanischen Intensivtäter, der zwischen 15 und 25 Jahre alt sei und aus Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien oder Tunesien komme. In dem Tweet der Kölner Polizei seien aber klar alle Nordafrikaner gemeint gewesen, denn vor der Überprüfung hätten die Beamten ja nicht wissen können, ob es sich um Straftäter handelte.

Problematisch seien ausserdem die Pauschalisierung und die Unschärfe des Begriffs. Syrer und Libanesen seien etwa keine Nordafrikaner, der Begriff «Nafri» suggeriere die Einheit unterschiedlicher Gruppen einfach aufgrund ihres Aussehens. «Eine präzisere Sprache hätte vielleicht dazu geführt, dass sorgfältiger kontrolliert worden wäre. Dann hätten vielleicht nicht Türken, die in dritter Generation hier leben, stundenlang im Polizeikessel ausharren müssen, statt Silvester zu feiern», ist der Wissenschaftler überzeugt. Sei der Begriff einmal in der Öffentlichkeit etabliert, entwickle er zudem ein Eigenleben und werde von rechten Gruppen instrumentalisiert und mit neuen Bedeutungen aufgeladen.

Wusste Dobrindt, was er sagte?

Den Tweet der Polizei hält der Forscher für unglücklich, glaubt aber nicht, dass dahinter Absicht steckte. «Minister Dobrindt dagegen hat den Begriff sicher nicht unreflektiert verwendet», glaubt Stefanowitsch. Das Wort komme beim rechten Rand gut an und es sei möglich, dass Dobrindt damit ein Signal an potenzielle CSU-Wähler habe senden wollen.

Eine gesellschaftliche Diskussion über den Ausdruck hält Stefanowitsch für notwendig, auch im Hinblick auf künftige polizeiliche Massnahmen. Allerdings, so der Wissenschaftler, sei «die Heftigkeit der Diskussion dem Austausch von Ideen nicht zuträglich».

Anatol Stefanowitsch ist ein deutscher Sprachwissenschaftler. Er unterrichtet und forscht als Professor an der Freien Universität Berlin und schreibt für Sprachlog.de. (Foto: Ben Stefanowitsch)

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