Attentäter von ToulouseEinsame Wölfe sind die neue Terrorgefahr
Der Fall von Mohammed Merah zeigt, dass auch Jihadisten, die allein handeln, grosses Unheil anrichten können. Geheimdienste können einsame Wölfe kaum ausmachen. Experten fürchten Nachahmer.
Für Europas Sicherheitsbehörden ist ein Mann wie Mohammed Merah ein Albtraum. Der Mann, der sich 33 Stunden lang bis heute um halb zwölf in seiner Wohnung verschanzt hatte und die ganze Welt in Atem hielt, hatte in den Tagen zuvor sieben Menschen erschossen. Laut eigenen Aussagen hatte er allein und aufgrund eines islamistischen Hintergrunds gehandelt. Einzeltäter wie Mohammed Merah, die sich zu Al Kaida bekennen, aber auf eigene Faust handeln, nennen Geheimdienste «einsame Wölfe». Merah passt in dieses Muster. Dies birgt laut Experten für die Zukunft einige Gefahren.
Auf CNN warnte ein Experte, dass die Angriffe in Toulouse eine neue Generation von Terroristen inspirieren und damit den Terrorismus noch unvorhersehbarer machen könnten. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hätten Polizei und Geheimdienste aller Länder aufgerüstet – diesem spezifischen Tätertyp stehen sie aber noch immer hilflos gegenüber, schreibt der «Spiegel».
Erfolgreiche Angriffe von Einzeltätern
Sajjan Gohel, Direktor der «International Security at the Asia Pacific Foundation» – ein Think Tank, der sich mit Terrorismusbekämpfung beschäftigt – geht davon aus, dass sich diese Hilflosigkeit noch steigern wird. Man habe bereits bei Anders Breivik, der im Juli 2011 in Norwegen 77 Menschen tötete, gesehen, dass ein Einzeltäter grosses Unheil anrichten könne. Die Anschläge in Toulouse werden dem weiteren Auftrieb geben. «Diese neue Form des Terrorismus sendet allen die Botschaft, dass Anhänger von Al Kaida auf eigene Faust erfolgreiche Angriffe tätigen können», sagte Gohel gegenüber CNN.
Mohammed Merah hatte damit in Frankreich Erfolg gehabt. Er hat die Bevölkerung in der Region um Toulouse in Angst und Schrecken versetzt. Schulen wurden bewacht, Menschen trauten sich nicht mehr auf die Strasse und allerorts herrschte ein Gefühl der Unsicherheit. Laut Gohel ist dies der «wahre Terrorismus».
Täter, die aus dem «Nichts» kommen
In Deutschland hatte vor einem knappen Jahr ein Einzeltäter das Land schockiert. Der Kosovare Arid Uka radikalisierte sich, nachdem er ein Internetvideo gesehen hatte, das die angebliche Vergewaltigung von muslimischen Frauen durch US-Soldaten zeigte. Wenige Tage später kaufte er auf dem Schwarzmarkt eine Waffe und zielte kurz darauf am Frankfurter Flughafen auf eine Gruppe von US-Soldaten. Zwei Amerikaner kamen dabei ums Leben.
Der Fall Uka zeige exemplarisch, dass es Täter gebe, die aus dem «Nichts» kommen, schreibt der «Spiegel». Uka war gläubig, aber weder als radikal noch als gewaltbereit aufgefallen. Seine Radikalisierung kam so schnell, dass die Behörden kaum rechtzeitig auf ihn aufmerksam werden konnten. Ernst Uhrlau, der Chef des deutschen Bundesnachrichtendienstes, sagte damals: «Wir müssen derzeit besonders auf Einzeltäter achten, die nicht aus fest strukturierten Zusammenhängen kommen, sondern mit Bestrafungsaktionen ihren Beitrag zum Jihad leisten wollen.»
Wenig Informationen zu knacken
Auch Sajjan Gohel ist überzeugt, dass diese Art von Tätern den Behörden in Zukunft grosses Kopfzerbrechen bereiten werden: «Es ist schwierig, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wenn eine Zelle nur aus einer oder zwei Personen besteht, ist es viel schwieriger, ihre Aktivitäten zu überwachen und ihre Netzwerke zurückzuverfolgen.» Die Möglichkeit der Behörden sei klein, schon bei der Planung von Anschlägen einzugreifen, da hier keinerlei Informationen durchsickern, wie das bei grösseren Zellen der Fall ist.
Auch das Leben des 23-jährigen Mohammed Merah war für sein Umfeld nicht auffällig gewesen. «Er war total normal», sagt ein 46-jähriger Nachbar über den mutmasslichen Attentäter von Toulouse. Er sei freundlich gewesen und habe ihm im vergangenen Jahr sogar geholfen, ein Sofa in eine Wohnung zu tragen. Bei den Verhandlungen mit Experten der Eliteeinheit RAID gab der Franzose mit algerischen Wurzeln an, durch eine Salafistengruppe radikalisiert worden zu sein. Salafisten vertreten eine besonders strenge Strömung des Islams.
Neue Erfolge für Al Kaida
Nach Angaben des französischen Innenministers Claude Guéant festigte sich das Weltbild des 23-Jährigen bei Reisen nach Afghanistan und Pakistan. Dort soll er ein Trainingscamp für Terroristen absolviert haben. In dem Falle wäre er laut «Spiegel» ein reisender Jihadist, der zwar alleine handelt, aber real existierende Verbindungen zu Al-Kaida pflegt.
Für Sajjan Gohel macht dies in Sachen Gefahr aber keinen grossen Unterschied: Wenn sich herausstelle, dass dies ein von der Al Kaida kontrollierter Angriff gewesen sei, zeige dies, dass die Terrororganisation in der Lage sei, europäische Anhänger zu rekrutieren, auszubilden und dazu zu bringen, Anschläge auszuführen. Wenn die Tat nur von der Al Kaida inspiriert gewesen sei, zeige dies, dass Handlungen von «einsamen Wölfen» auch vom Erfolg gekrönt sein können.