Niemals! Nein! Vielleicht.Hat Martin Schulz seine Glaubwürdigkeit verspielt?
Die SPD und ihr Chef Martin Schulz haben sich erweichen lassen. Eine Regierungsbeteiligung ist wieder auf dem Tisch. Manch einer fragt sich wohl, ob er das alles noch ernst nehmen kann.

Martin Schulz im Gespräch mit dem Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeiers «dramatischer Appell» zur Zusammenarbeit zeigte bei der SPD offensichtlich Wirkung.
HandoutErst hiess es «niemals». Nach dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen hiess es klar «Nein». Seit Donnerstagabend rückte die SPD-Führung dann auch davon ab und erklärte sich bereit, sich zumindest zu Gesprächen über einen Beitrag der SPD zu einer Regierungsbildung zu öffnen.
Am Freitag teilte SPD-Chef Martin Schulz mit, dass er die Mitglieder seiner Partei über eine Beteiligung der Sozialdemokraten an einer Regierungsbildung abstimmen lassen wolle.
Schulz: «Werden uns nicht verweigern»
Zu diesem Entschluss habe ihn der «dramatische Appell» von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewogen, der die Parteien zu Gesprächen aufgerufen habe, erklärte Schulz am Freitag. «Dem werden wir uns nicht verweigern. Sollten diese dazu führen, dass wir uns in welcher Form auch immer an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die SPD-Mitglieder darüber abstimmen.»
Beim Bundeskongress der Jusos am Freitagabend betonte Schulz, er strebe weder eine grosse Koalition noch eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen an. «Ich strebe gar nix an», sagte er. Ihm gehe es vor allem um ein besseres Leben für die Menschen. Allerdings verwies er darauf, dass eine Partei in der Opposition kaum Gestaltungsmöglichkeiten habe.
Nach dem Scheitern der Sondierungen von Union, FDP und Grünen steigt der Druck auf die SPD, sich entgegen vorheriger Festlegungen doch an einer Regierungsbildung zu beteiligen. Diskutiert wird ausser über eine Neuauflage der grossen Koalition auch über die Unterstützung einer Minderheitsregierung.
SPD in günstiger Verhandlungssituation
Ganz schön viel Hin und Her und sich bitten lassen. Verspielen der SPD-Chef und seine Partei damit ihre Glaubwürdigkeit?
«Kommt darauf an, wie die Partei ihr Lavieren darstellen wird», sagt Klaus Armingeon, Politologe an der Uni Bern.
«Sie hat sich zwar schon sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Andererseits müssen wir bedenken, dass die Sozialdemokraten in der grossen Koalition elektoral schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber wenn sie sich zum Schluss als Retter des Vaterlandes darstellen kann, wäre das sicher keine schlechte Lösung für die SPD.»
Die Verhandlungssituation sei für die SPD derzeit aber durchaus günstig: «Sie kann jetzt relativ viele Zugeständnisse von der CDU in Koalitionsverhandlungen verlangen.»
«Seelenmassage von Steinmeier»
Dass sich die SPD einen Ruck gegeben hat und sich auf Gespräche einlässt, an deren Ende eine grosse Koalition stehen könnte, überrascht den Politologen nicht. «Die Parteiführung hat eine Seelenmassage von Bundespräsident Steinmeier erhalten», so Armingeon.
«Wenn sie der Option einer grossen Koalition noch länger kategorisch verweigert, könnte sie das Sympathien kosten.» Die Überlegung bei der SPD sei wohl gewesen, dass die Wähler die Partei im Falle von Neuwahlen im Frühjahr abstrafen würden, zumal es möglich ist, dass die Ausgangslage nach einer Neuwahl die gleiche ist wie heute: «Wenn dann die SPD später einer grossen Koalition nach der Neuwahl zustimmt, stellt man sich die Frage, weshalb sie nicht von Anfang an über eine grosse Koalition verhandelt hat.»
«Verantwortung für Kehrtwende an Mitglieder abschieben»
Neuwahlen hingegen lägen weniger im Interesse der SPD, so der Politologe. Denn «danach hätte sie noch viel weniger Spielraum: Die Ergebnisse dürften ähnlich ausfallen wie im September, eventuell würde die SPD sogar noch Stimmen verlieren.» Und dann hätte sie kaum Spielraum, einer grossen Koalition zuzustimmen, nachdem sie das nach der Wahl im September 2017 kategorisch ausgeschlossen hat.»
«Was auch immer die SPD später auch macht, es ist nicht optimal. Deswegen muss sie jetzt handeln, jetzt, wo sie von vielen Seiten bekniet wird», sagt Armingeon. «Es ist eine kluge Strategie, den auszuhandelnden Koalitionsvertrag den SPD-Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen.» Damit werde die Verantwortung für die Kehrtwende an die Mitglieder abgeschoben und die Parteileitung könne argumentieren, sie beuge sich dem Mehrheitswillen der Mitglieder.
Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen und seinen anfänglichen Weigerungen, die Option eines grossen Bündnisses in Betracht zu ziehen, ist besonders SPD-Chef Schulz unter Druck geraten. Diese Woche machten schon Rücktrittsspekulationen die Runde, die von einer Reihe SPD-Grössen entschieden zurückgewiesen wurden.
Wohl kein Vizekanzler Schulz
Und doch: Schulz scheint sich viele Chancen verbaut zu haben, denn der Wahlverlierer, der schon während der Jamaika-Verhandlungen um sein Amt kämpfen musste, hat sich mit seiner GroKo-Komplett-Verweigerung, die er nun womöglich aufgeben muss, zusätzlich angreifbar gemacht.
Das hat Konsequenzen: «Schulz könnte wahrscheinlich nicht mehr als Vizekanzler in die Regierung der grossen Koalition eintreten, dagegen hat er sich zu klar und zu theatralisch positioniert», so der Politologe.
Neuer Hoffnungsträger Scholz
Der 61-Jährige habe aber nach wie vor eine breite Unterstützung in seiner Fraktion und bei den SPD-Wählern. «Deswegen denke ich nicht, dass er geopfert wird», so Armingeon. «Es wird wohl beim Parteipräsidenten und Fraktionsführer bleiben.»
Bessere Chance auf Toppositionen in einer möglichen künftigen grossen Koalition dürften sich andere Kandidaten ausrechnen, etwa der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, der das G-20-Debakel von diesem Sommer zu verantworten hat. Er gilt als Hoffnungsträger der SPD – auch weil die Partei in schwierigen Zeiten nur wenig Führungspersönlichkeiten hat.