Vor laufender KameraHier stürzt die Fassade des Rathauses ein
Das Rathaus von Sant'Agostino in Norditalien ist bei einem Nachbeben weiter in sich zusammengefallen - live im Fernsehen. Und die Erde bebt noch immer weiter.
Nach dem heftigen Erdbeben im Norden Italiens ist es am Sonntagnachmittag zu einem Nachbeben der Stärke 5,0 gekommen. Ein Reporter der Fernsehstation Tg2 steht gerade vor dem Rathaus der schwer betroffenen Stadt Sant'Agostino, als die Erde erneut bebt.
Die schon zuvor schwer beschädigte Fassade des Gebäudes stürzt daraufhin vor laufender Kamera ein. Dem Reporter ist in seiner Position sichtlich unwohl, doch bleibt er auf dem Sender und steht sogar extra kurz zur Seite, um den Zuschauern freie Sicht auf das Spektakel zu bieten.
Und auch am Montagabend hat die Erde erneut gebebt. Ein Nachbeben der Stärke 4,1 erschütterte die Region erneut. Der Erdstoss dauerte nach Behördenangaben mehrere Sekunden. Das Epizentrum lag in der Ortschaft Finale Emilia zwischen den Provinzen Modena und Ferrara - wie schon beim ersten Erdbeben am Sonntag, wie das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie mitteilte.
Menschen schlafen in Notunterkünften
Aus Angst vor weiteren solchen Nachbeben haben anschliessend mehrere tausend Menschen die Nacht auf Montag in Notunterkünften verbracht. Nach Behördenangaben mussten rund 4000 Menschen in Zelten, Turnhallen oder in ihren Autos auf Parkplätzen übernachten.
Zudem wurden die Menschen in der Emilia Romagna in der Nacht von 24 Nachbeben von einer Stärke bis zu 3,7 aufgeschreckt und am Montagmorgen von starkem Regen überrascht. Die Behörden bemühten sich unterdessen, den entstandenen Schaden an Wohnhäusern, Verwaltungsgebäuden, Schulen und Kirchen in der für ihre Kulturdenkmäler bekannten Region abzuschätzen.
«Tausend Jahre Geschichte verschwinden mit einem Schlag»
In Finale Emilia, dem Epizentrum des Bebens, wurde ein einstürzender Glockenturm zum Symbol der Katastrophe. Der Turm stürzte bei einem Nachbeben vollends ein, nachdem er zuvor noch zur Hälfte stehengeblieben war. «Tausend Jahre Geschichte verschwinden mit einem Schlag», sagte dazu Fernando Ferioli, Bürgermeister von Finale Emilia.
Überall liegen Trümmer, in Strassen und Gebäuden klaffen Risse - wie nach einem Bombenanschlag, beschreiben die Menschen die Situation. Die Erdstösse waren in grossen Teilen des Landes zu spüren. Noch in Como im Nordwesten am Alpenrand und in nördlichen Bozen berichten Einwohner, sie hätten das Beben bemerkt. Am Gardasee wurden Touristen aus dem Schlaf geweckt.
Menschen haben Angst
Helfer des Katastrophenschutzes errichten in Finale Emilia über Nacht vier Zeltlager. Eines davon befindet sich im Stadion der rund 30 Kilometer nördlich von Bologna gelegenen Stadt. «Wir haben die ganze Nacht durchgearbeitet», sagte ein Sprecher. Viele Menschen hätten Angst, in ihre Häuser zurückzukehren.
«Leider gehen die Nachbeben weiter, und das macht den Menschen Sorgen», sagte der Präsident der Region Emilia Romagna, Vasco Errani, am Montag. «Als Folge beschleunigen wir die Überprüfungen der Gebäude.» Der italienische Ministerpräsident Mario Monti brach derweil seine Gespräche auf dem NATO-Gipfel in Chicago vorzeitig ab und kehrte nach Italien zurück. Am Montagabend traf er dort ein. Der Regierungschef plant am Dienstag eine Ministerratssitzung, bei der der Notstand ausgerufen wird. Damit sollen Gelder für den Wiederaufbau frei gemacht werden. Wegen der Einsparungen infolge der Schuldenkrise sei jedoch mit wenig Hilfe seitens des Staates zu rechnen, verlautete es in Regierungskreisen.
Mindestens sieben Tote
Bei dem Beben der Stärke 6,0, dem schwersten in dem Gebiet seit mehreren hundert Jahren, waren in der Nacht zum Sonntag mindestens sieben Menschen ums Leben gekommen, mehr als 50 wurden verletzt.
Unter den Todesopfern waren nach Behördenangaben vier Arbeiter, deren Fabriken bei dem Beben einstürzten. Zudem starben eine 37- jährige Deutsche möglicherweise durch den Schreck, eine 86-Jährige erlitt einen Schlaganfall und und eine über hundert Jahre alte Frau wurde im Bett von Teilen der herunterfallenden Decke erschlagen.
Erdbeben in L'Aquila hatte mehr Opfer gefordert
Das Beben in der Region Emilia Romagna war etwas weniger stark als das von L'Aquila, das am frühen Morgen des 6. April 2009 die Stadt in den Abruzzen mit einer Stärke von 6,2 erschüttert hatte.
In L'Aquila sind bis heute Teile des historischen Stadtkerns gesperrt - der Wiederaufbau schleppt sich hin. 300 Menschen starben damals, 67 000 wurden obdachlos. Dass es diesmal weit weniger Opfer gab, könnte gemäss Experten daran liegen, dass das Erdbeben keine grosse Stadt, sondern verschiedene kleine Gemeinden traf. (jam/sda)