Flucht in EUMassenexodus aus dem Kosovo
Seit Jahren leidet der Kosovo unter einer schwächelnden Wirtschaft. Junge Kosovaren verlassen das Land in Massen, um in der EU ihr Glück zu suchen.
Für Mittwoch ist in der kosovarischen Hauptstadt Pristina
erneut eine grosse Demonstration gegen die Regierung geplant. Doch viele Kosovaren greifen zu einem anderen Mittel, um den Problemen ihres Landes zu entkommen: Sie verlassen ihre Heimat und wandern illegal in die EU aus.
Rund 20'000 Kosovaren haben dem Balkanstaat im letzten Jahr den Rücken gekehrt – mehr als ein Prozent der 1,82 Millionen Einwohner. Dabei habe der Massenexodus erst gegen Mitte 2014 wirklich angefangen, wie balkaninsight.com schreibt.
Die Auswanderer erhoffen sich im Ausland eine bessere Zukunft. «Wenn ich in den Sommerferien im Kosovo bin, sehe ich fast nur Autos mit Schweizer oder deutschen Kennzeichen», sagt Arbnore Gashi, eine Kosovarin, die in der Schweiz lebt. «Daraus schliessen die Kosovaren, die noch im Land bleiben, dass das Geld hier auf den Bäumen wächst. Viele von ihnen wollen jetzt auch ausreisen.» Darunter seien selbst Leute, die im Kosovo einen festen Job hätten.
«Die Leute haben keine Jobs und keine Hoffnung»
Der Kosovo gilt als das «Armenhaus Europas». Seit Jahren wächst die Wirtschaft des Landes nur sehr langsam. 2013 betrug das Bruttoinlandprodukt pro Kopf umgerechnet rund 3525 Franken – der Vergleichswert der Schweiz erreichte zur gleichen Zeit das 21-fache. Zur schwachen wirtschaftlichen Lage kommt die weit verbreitete Korruption: Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegt das Land den 111. von 175 Plätzen.
Es fehlt an Perspektiven, sagt Oppositionspolitiker Rexhep Selimi zu 20 Minuten: «Der Kosovo-Krieg ist 20 Jahre her, aber die Leute haben noch immer viele Gründe, das Land zu verlassen.» Die Kosovaren sehen für ihr Leben im Balkanstaat keine Zukunft, sagt er weiter. «Früher hatten die Leute keine Jobs, aber waren noch optimistisch. Heute haben sie noch immer keine Jobs, aber auch keine Hoffnung mehr.»
Staatspräsidentin Atifete Jahjaga hat dieser Kritik nichts entgegenzusetzen: «Seit Jahren haben wir keine wirtschaftliche Entwicklung und eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Einzigen, die von der Situation hier profitieren, sind kriminelle Banden.»
Eine Schweiz-Kosovarin widerspricht
Die kosovarische Regierung ruft ihr Volk dazu auf, das Land nicht zu verlassen. Die illegale Migration aus dem Land schade den Beziehungen zur EU. Der EU-Kosovo-Beauftragte Samuel Zbogar sagt zu balkaninsight.com: «Asylanträge aus dem Kosovo werden in keinem EU-Staat angenommen. Die Migranten werden ärmer zurückkommen, als sie abgereist sind.»
Hier widerspricht eine Schweizerin mit kosovarischen Wurzeln: «Ich kenne einige Leute, die vor kurzem aus dem Kosovo ausgereist sind. Dass sie ihre Heimat verlassen müssen, ist schade. Aber ich habe das Gefühl, dass es ihnen besser geht, wenn sie im Ausland schwarzarbeiten.»
Keine bekannten Auswirkungen auf die Schweiz
Doch die Reise in die EU birgt für die Kosovaren Risiken. Die Auswanderer müssen beim Grenzübertritt eine grüne Grenze überqueren, viele vertrauen sich Schlepperbanden an, andere versuchen es auf eigene Faust. Im Januar wurde in Ungarn die Leiche eines Kosovaren gefunden. Der 54-Jährige war nur wenige Meter hinter der Grenze erfroren.
Auf die Schweiz hat die Auswanderungswelle bisher keine bekannten Auswirkungen. Die Asylstatistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) zeigt keine signifikante Zunahme von Asylgesuchen aus dem Kosovo – mit gutem Grund. Sprecher Martin Reichlin sagt zu 20 Minuten: «Asylgesuche aus dem Kosovo haben im Moment eine sehr kleine Chance.»
Bilder von einem Busbahnhof zeigen, wie sich die Kosovaren um einen Platz im Bus drängen.