Medien berichten einseitig über Flüchtlinge

Aktualisiert

Deutsche StudieMedien berichten einseitig über Flüchtlinge

Forscher haben die Berichterstattung zur Flüchtlingskrise ausgewertet. Ihr Schluss: Die meisten deutschen Medien haben sich einseitig positioniert.

von
Viviane Bischoff
Reichweitenstarke deutsche Medien hätten sich das Motto der Bundeskanzlerin - «Wir schaffen das» - zu eigen gemacht. Zu diesem Schluss kommt Michael Haller, Autor einer Studie zur deutschen Berichterstattung zur Flüchtlingspolitik. So zum Beispiel «Die Zeit», die im August 2015 titelte: «Willkommen!»
Der Medienwissenschaftler Haller wertete mit weiteren Forschern an der Hamburg Media School über 34'000 Pressebeiträge aus. Insgesamt seien 82 Prozent aller Beiträge zur Flüchtlingsthematik positiv konnotiert gewesen, zwölf Prozent neutral, sechs Prozent hätten die Flüchtlingspolitik kritisch betrachtet.
In den Monaten Juli bis September 2015 ist die Berichterstattung zur Flüchtlingsthematik explodiert. «Merkel: Wir schaffen das», titelte beispielsweise «Der Tagesspiegel».
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Reichweitenstarke deutsche Medien hätten sich das Motto der Bundeskanzlerin - «Wir schaffen das» - zu eigen gemacht. Zu diesem Schluss kommt Michael Haller, Autor einer Studie zur deutschen Berichterstattung zur Flüchtlingspolitik. So zum Beispiel «Die Zeit», die im August 2015 titelte: «Willkommen!»

Die Zeit

Rund eine Million Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland. 19'000 Berichte haben deutsche Medien zum Thema Flüchtlingspolitik veröffentlicht. Der Medienforscher Michael Haller wertete sie für die Hamburg Media School aus. Die Zwischenergebnisse lassen aufhorchen.

Weil die Studie noch nicht abgeschlossen ist, wollte sich der Autor auf Anfrage von 20 Minuten nicht zu den Ergebnissen äussern. Vor einer Woche stellte Haller an der Netzwerk-Recherche-Konferenz in Hamburg aber seine Zwischenergebnisse vor.

Medien positionierten sich eindeutig

Wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» schreibt, nahm gemäss Hallers Auswertung die Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik in den Monaten Juli bis September 2015 stark zu. Einzelne Zeitungen publizierten zum Thema bis zu sieben Artikel pro Tag.

In 82 Prozent aller untersuchten Beiträge sei positiv über die Flüchtlingspolitik berichtet worden, in zwölf neutral und in sechs Prozent wurde sie kritisch betrachtet. Die grossen deutschen Medien schlossen sich dem Motto von Bundeskanzlerin Angela Merkel – «Wir schaffen das» – an und positionierten sich damit eindeutig.

«Zu wenig ausgewogen»

Die deutsche Presse wurde in den letzten Jahren immer wieder kritisiert. 2014 wurde der Begriff «Lügenpresse» zum «Unwort des Jahres» erkoren. Trotz der Studienergebnisse sei der Begriff hier nicht angebracht, sagt Linards Udris vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) zu 20 Minuten. Das Wort sei lediglich ein politischer Kampfbegriff. Die Studie könne aber zeigen, dass deutsche Medien zu rasch von einem Extrem ins andere kippten.

«Die Studie legt nahe: Die Medien waren offenbar nicht nur in der ‹Willkommenskultur›-Phase, sondern auch in der ‹Problem›-Phase zu wenig ausgewogen», sagt Udris. Er kritisiert: «Die Medien waren schon viel früher zu wenig genaue Beobachter, denn sie haben sich kaum für die Schicksale von Flüchtlingen interessiert, als diese noch nicht in Europa waren.»

Medien verloren Glaubwürdigkeit

Rund zwei Drittel der tonangebenden Medien vernachlässigten im Sommer 2015, dass die Aufnahme der grossen Zahl von Flüchtlingen die Gesellschaft vor Probleme stellen würde, so die «FAZ». Nur ein Drittel der Berichte griff ab November die Schwierigkeiten auf.

Parallel dazu habe sich die Einstellung der Bevölkerung gewandelt. Sie sah die Flüchtlingspolitik immer kritischer. Die Berichterstattung sei der sich ändernden Wahrnehmung der Bevölkerung hinterhergelaufen. Deshalb büssten die Medien bis zum Jahresende 2015 an Glaubwürdigkeit ein.

Politiker mit einfachen Rezepten profitieren

Während zu Beginn des Jahres 2015 gemäss dem «Reuters Digital News Report» noch 60 Prozent der Deutschen die Medien als vertrauenswürdig einstuften, waren es ein Jahr später nur noch 52 Prozent. Im internationalen Vergleich ist das immer noch eher hoch. «Es gibt ein Grundvertrauen in die deutschen Medien», so der Medienforscher Udris, obwohl 28 Prozent der Leute den Medien nicht vertrauen würden.

Grundsätzlich könne man aber erkennen, dass die Medien internationale Ereignisse zu wenig erklärten und die Bevölkerung so von Aktualitäten wie der Flüchtlingskrise überrascht würden. «Dies kommt denjenigen Politikern entgegen, die hier einfache Lösungsrezepte vorschlagen», sagt Udris. Im Oktober will Studienautor Haller alle Ergebnisse veröffentlichen.

Linards Udris ist stellvertretender Institutsleiter am fög (Forschungsinsitut Öffentlichkeit und Gesellschaft) der Universität Zürich.

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