So gross sind Schwedens Probleme wirklich

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MigrationSo gross sind Schwedens Probleme wirklich

Wegen der Flüchtlinge geht Schweden vor die Hunde – diesen Eindruck hat der US-Präsident. Doch was ist dran an der Angst vor Kriminalität und No-go-Areas?

von
Mareike Rehberg
In den Jahren 2015 und 2016 stellten in Schweden insgesamt knapp 200'000 Menschen einen Asylantrag. Wie US-Präsident Donald Trump glauben viele Menschen, dass die Flüchtlingswelle für steigende Kriminalitätsraten gesorgt hat. (Im Bild: Ankommende Flüchtlinge in Malmö im November 2015.)
Doch die Statistik zeigt: Die Kriminalitätsrate stieg 2015 gegenüber 2014 nur leicht an.
Das Kriminalitätsproblem in Brennpunktvierteln in schwedischen Grossstädten gab es schon vor der Flüchtlingswelle. Am 20. Februar 2017 kam es im Stockholmer Vorort Rinkeby zu Krawallen.
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In den Jahren 2015 und 2016 stellten in Schweden insgesamt knapp 200'000 Menschen einen Asylantrag. Wie US-Präsident Donald Trump glauben viele Menschen, dass die Flüchtlingswelle für steigende Kriminalitätsraten gesorgt hat. (Im Bild: Ankommende Flüchtlinge in Malmö im November 2015.)

epa/Johan Nilsson

Seit Donald Trumps Aussage über «last night in Sweden» und die belustigten bis empörten Reaktionen darauf stellt sich die Frage: Herrschen in Schweden wirklich so desolate Zustände, seit das Land viele Flüchtlinge ins Land gelassen hat? Ein Beitrag des US-Senders Fox, dem das schwedische «Aftonbladet» zahlreiche Fehler nachgewiesen hat, hat den US-Präsidenten das nach eigener Aussage glauben lassen. Oder haben Kommentatoren in den sozialen Medien recht, wenn sie mit humorvollen Tweets suggerieren, Schwedens grösste Probleme bestünden im fachgerechten Aufbau von Ikea-Möbeln oder in der Angst, beim Eurovision Song Contest schlecht abzuschneiden?

Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Schwedische Grossstädte haben ohne Frage problematische Stadtviertel und Vororte. Die Arbeitslosigkeit in diesen Gegenden ist hoch, es leben dort viele Migranten, und die Polizei hat alle Hände voll zu tun, weil es häufiger als anderswo zu Straftaten kommt – ähnlich wie in den Banlieues und Ghettos von Paris, London oder Berlin. Vorfälle wie die Krawalle im vorwiegend von Migranten bewohnten Stockholmer Vorort Rinkeby verstärken den Eindruck, Schweden habe ein Problem mit kriminellen Einwanderern.

Granate durchs Wohnungsfenster

Auch Schreckensmeldungen aus anderen schwedischen Städten scheinen das Klischee von der skandinavischen Idylle zu konterkarieren. Die Viertel Seved und Rosengård in Malmö etwa gelten als Viertel, in die sich Polizisten nur mit Verstärkung trauen. Im Göteborger Vorort Biskopsgården starb im vergangenen Sommer ein achtjähriger Bub durch eine Handgranate, die durch das Fenster einer Wohnung geworfen wurde – vermutlich war er das Opfer rivalisierender Drogenbanden in dem Viertel.

Laut «Süddeutscher Zeitung» sind Biskopsgården, Rosengård und andere Problem-Stadtteile Beispiele dafür, wo Integration in Schweden nicht funktioniert. Die früheren Arbeiterviertel seien heute Abstellgleise für Ausländer, die kaum Chancen auf einen Job hätten, schreibt die Zeitung. In einigen Orten liege der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund bei mehr als 80 Prozent, die Arbeitslosigkeit sei dort oft doppelt so hoch wie im übrigen Land.

Diese Probleme sind Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Vertreter der drittstärksten Partei im Land, die seit der Flüchtlingskrise an Zustimmung gewonnen hat, fordern etwa militärische Unterstützung der Polizei und eine rigidere Einwanderungspolitik. Auf vielen – oft rechtsgerichteten – Online-Plattformen wie «Politically Incorrect» oder «Breitbart» ist zu lesen, die Einwanderer und Flüchtlinge in Schweden sorgten für eine Vergewaltigungswelle, einen rasanten Anstieg der Kriminalität und zahlreiche No-go-Areas.

Probleme gibt es schon lange

Die Statistiken liefern jedoch ein differenzierteres Bild. Es ist richtig, dass sich die Kriminalitätsrate im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöhte – allerdings nur auf das Niveau von 2005. Die Unterschiede sind zudem klein: Der Anteil der Bevölkerung, der Opfer von Gewalt oder Belästigungen wurde, schwankt in den offiziellen Statistiken seit 2005 selten um mehr als einen halben Prozentpunkt. Von der Polizei erfasste Tätlichkeiten etwa nahmen 2015 gegenüber dem Vorjahr rund zwei Prozent zu, während die Zahl der Vergewaltigungen um zwölf Prozent abnahm. Die Kriminalitätsrate ging gemäss der Nachrichtenagentur SDA 2016 zudem wieder zurück.

Zwar hat Schweden im internationalen Vergleich tatsächlich eine hohe Vergewaltigungsrate, doch lassen sich die Zahlen nach Ansicht von Fachleuten nicht vergleichen, da sie anders erfasst werden. Wie die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) schreibt, wird in Schweden der Strafbestand Vergewaltigung weiter gefasst als in anderen Ländern, ausserdem würden die Fälle einzeln gezählt. Wenn etwa eine Frau ein Jahr lang jede Woche von ihrem Partner vergewaltigt werde, seien das 52 Straftaten in der schwedischen Statistik – in Deutschland ginge dieser Fall nur einmal in die Statistik ein.

Umstrittene Kampagne

Was die Brennpunkte in Malmö, Göteborg und Stockholm angeht, gibt Bernd Parusel, Migrationsexperte im schwedischen Einwanderungsamt, zu bedenken, dass diese auf lange gewachsenen Problemen beruhen, die nicht direkt etwas mit der Flüchtlingswelle der vergangenen beiden Jahre zu tun hätten. Zudem sei es irreführend, von No-go-Areas zu sprechen, in die sich die Polizei nicht mehr traue, weil sie gerade dort verstärkt Präsenz zeigen wolle. «Schweden hat sich lange als ein Land profiliert, in dem Flüchtlinge willkommen sind. Jetzt geniessen Populisten es, das Land vorzuführen und zu zeigen: Es klappt doch nicht», sagte Parusel der FAZ.

Dass es vielleicht doch klappt mit der Integration, hofft die Nichtregierungsorganisation Individuell Människohjälp (IM). In einem Video vom September 2016 ruft die NGO die Bürger dazu auf, Integration als etwas zu betrachten, was nicht nur die Ausländer, sondern alle Schweden betreffe. Durch die Migranten werde Schweden nie wieder das sein, was es gewesen sei, und das müsse man akzeptieren, so IM in der Kampagne, die auf geteiltes Echo stiess und insbesondere auf rechtsgerichteten Online-Plattformen auf harsche Kritik stiess.

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