Tag der Uneinheit

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Am Tag der Deutschen Einheit zeigt sich in Dresden ein wenig geeintes Gesicht der Nation. Fremdenhass gefährdet den sozialen Frieden. Der «Spiegel» macht den Neid der «Ossis» verantwortlich.

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Angela Merkel ist gekommen, und auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert besuchen Dresden zur Feier der Deutschen Einheit. Willkommen geheissen wurden sie von den Bürgern nicht: Rufe wie «Hau ab», «Volksverräter», «Merkel muss weg» empfingen die Politiker.

Am Sonntag hatten rund um die Einheitsfeiern ein Brandanschlag auf drei Polizeifahrzeuge sowie Pöbeleien gegen Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert für Aufregung gesorgt. Frauen mit Kopftüchern, die zum islamischen Neujahrsfest ins Rathaus eingeladen worden waren, wurden von Pegida-Anhängern ausgebuht. Anfang vergangener Woche war zudem auf eine Dresdener Moschee ein Sprengstoffanschlag verübt worden.

Polizei in Alarmbereitschaft

Es kam am Sonntag zu Tumulten, als ein Mann von der Polizei weggeführt wurde, und auch jetzt ist die Stimmung in Dresden angespannt. Die fremden- und islamfeindlichen «Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) und das inzwischen mit ihnen verfeindete Bündnis «Festung Europa» haben für heute Kundgebungen und Proteste angekündigt.

Die Polizei hat für die drei Tage dauernden Feierlichkeiten rund 2600 Beamte zusammengezogen und ist seit Tagen in Alarmbereitschaft.

Verfestigender Fremdenhass im Osten

Vor diesem Hintergrund ist der «Bericht zum Stand der Deutschen Einheit» erwähnenswert, den die Bundesregierung Ende September vorlegte. In ihm wird auf den Fremdenhass verwiesen, der in Ostdeutschland stärker als im Westen ausgeprägt sei und den sozialen Frieden bedrohe. «Neben unzähligen Angriffen auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte sind gewalttätige Ausschreitungen wie in Heidenau und Freital zu Symbolen eines sich verfestigenden Fremdenhasses geworden», heisst es darin auch.

«Emotionaler Überdruck»

Der «Spiegel» hat das zum Anlass genommen, eine «Streitschrift zum Einheitsfest» zu verfassen (Bezahlartikel). Darin geht er der Frage nach, wieso Flüchtlinge im Osten auf mehr Ablehnung und Hass stossen als im Westen, weshalb sich dort Mobs vor Asylbewerberheimen zusammenrotten und wieso Politiker auf Besuch im Osten mit wüsten Tiraden eingedeckt werden. An «diesem Ausrasten ist etwas ‹typisch Ostdeutsches› auszumachen», schreibt der «Spiegel»-Autor.

Er führt das darauf zurück, dass die Menschen im deutschen Osten nach seiner eigenen Beobachtung unter einem «emotionalen Überdruck» leiden, es dort ein «Erschöpfungssyndrom» gibt: «Viele Menschen mussten ihr Leben nach 1989 dramatisch umstellen. Sie haben die Wiedervereinigung nur kurzzeitig als Befreiung erlebt; viele verhalten sich weniger wie freie Bürger, eher wie Freigelassene, deren gelernte Verhaltensregeln zu den Erfordernissen der Gegenwart nicht passen.»

Als Erbe aus DDR-Zeiten hätten einige Bürger eine Erwartungshaltung an die Politik, die nicht zu erfüllen sei. Diese speise sich daraus, dass in der DDR eine Nähe zwischen Bürger und Staat propagiert und gelebt wurde (Auszeichnungen für jeden und alles): «Verglichen damit ist ‹die Politik› heute weit weg und bedient das einst gewachsene Anerkennungsbedürfnis nicht.»

«Hat Merkel je einen Vorpommer in den Arm genommen?»

Im sozialistischen Modell einer geschlossenen Gesellschaft stand zudem die Einheitlichkeit vor der Vielfalt. Entsprechend wurde «der Umgang mit Menschen anderer Überzeugungen und aus anderen Ländern kaum gelernt». Da auch der Atheismus grossgeschrieben wurde, erscheine es deshalb heute vielen als «bedrohlich, wenn Menschen ins Land kommen, die sich schon äusserlich über ihre Religion definieren», heisst es weiter.

Kommt die als kühl und distanziert wahrgenommene Kanzlerin hinzu: Als sie Flüchtingskinder herzte und von «den Ausländern» gefeiert wurde, weckte das Neid und Hass unter ihren eigenen Ostbürgern: «Hat sie je einen Vorpommer so in den Arm genommen?»

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