UNO will Hollands Schmutzli verbieten

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Rassismus-DebatteUNO will Hollands Schmutzli verbieten

Harmloser Brauch oder rassistische Persiflage? Die UNO sieht im niederländischen Schmutzli, dem Zwarte Piet, ein Relikt der Sklaverei. In den Niederlanden kocht der Volkszorn.

von
dhr

Der niederländische Zwarte Piet hat geschafft, wovon Popstars wie Madonna und Justin Bieber träumen: Innerhalb von 24 Stunden hat der schwarze Helfer des Nikolaus über eine Million Fans auf Facebook gewonnen. Die Vereinten Nationen gehören nicht dazu.

Zwarte Piets Vorgesetzter Sinterklaas – so heisst die niederländische Version des Samichlaus – sei rassistisch, behauptet die Vorsitzende einer UNO-Arbeitsgruppe, Verene Shepherd. Sie fordert sogar die Abschaffung des Festes – wofür ihre Gegner in den Niederlanden sie «Zeurpiet» (Nörgler, Nervensäge) schelten.

«Pietitie» vs. «Zwarte Piet is Racisme»

«Hände weg von unserem Piet», wüten über 90 Prozent der Niederländer. Fast zwei Millionen unterzeichneten bisher die «Pietitie» auf Facebook. Die Facebookseite der Piet-Gegner («Zwarte Piet is Racisme») dümpelt dagegen bei 9000 Likes.

Am Samstag wollen die Piet-Freunde sogar demonstrieren. Die 16-jährige Mandy Roos aus Den Haag rief zur Demo gegen die UNO auf: «Das ist unsere niederländische Tradition, und davon müssen sie ihre Finger lassen.»

Mit Pumphosen und Pagenkappen

Das Sinterklaas-Fest ist einzigartig in der Welt und ein unschuldiges Kinderfest – so sehen es die Niederländer. Nach der Legende kommt der weisse Bischof immer Mitte November mit einem Dampfschiff aus Spanien in den Niederlanden an. Der gütige Mann mit langem Bart und rotem Mantel reitet auf seinem Schimmel durchs Land, begleitet von einer Schar schwarzer Helfer.

Die Zwarte Pieten tragen Pumphosen, bunte Jacken und Pagenkappen mit Feder auf dem Kopf. Sie sind immer zu Spässen aufgelegt, streuen Pfeffernüsse und – nicht ganz unwichtig – bringen den Kindern am Abend des 5. Dezember die Geschenke.

«Sinterklaas in Leusden»(Quelle: Youtube/Theo de Gier)

Nur sind die Pieten eben schwarz. Doch die Farbe, so sagen fast alle der 17 Millionen Piet-Experten im Lande, komme vom Russ der Schornsteine. Durch die klettern die Pieten der Legende nach in die Wohnungen, um die Päckchen abzuliefern.

Niederländische Form des «Blackface»

Das ist hübsch, kann die Vorwürfe aber nicht ganz entkräften. Denn das Pagenkostüm erinnert an die Kleidung, mit denen reiche holländische Kaufleute ihre schwarzen Sklaven im 17. Jahrhundert ausstaffierten, die sie sich wie ein dekoratives Accessoire hielten. Zudem tragen alle Pieten ihr Haar im Afro-Look, rotgeschminkte Lippen und goldene Ohrringe.

Kritiker wie Serginho Roosblad sehen im Zwarte Piet daher eine niederländische Form des britischen Golliwog oder des sogenannten «Blackface» der früheren amerikanischen Minstrel-Shows, in denen weisse Schauspieler mit geschwärzten Gesichtern Schwarze als dumme Tölpel karikierten.

Rassistische Darstellung von Schwarzen in einer Minstrel-Show: «Cotton and Chick Watts Blackface Minstrel Show Comedy» (engl.)(Quelle: Youtube/ikachina)

«Ein koloniales Relikt»

«Das Fest ist eine Rückkehr zur Sklaverei», kritisierte UNO-Expertin Shepherd. Auch viele schwarze Niederländer aus den früheren Kolonien Surinam und den Antillen klagen. «Er ist ein koloniales Relikt», sagt der Amsterdamer Künstler Quinsy Gario. Er reichte Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EMGH) ein: Schwarze würden als dumm, lustig und vor allem als Knechte dargestellt. «Das verletzt viele», sagt Gario.

Für viele Schwarze ist der Kinderfreund das Symbol für die alltägliche Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, bei der Polizei bis hin zu den Diskotheken. «In den Niederlanden wird die Stimme der Schwarzen nicht gehört,» sagt Gario, der 2011 beim Einzug des Sinterklaas in Dordrecht von der Polizei unsanft festgenommen wurde, weil er ein T-Shirt mit der Aufschrift «Zwarte Piet is Racisme» trug.

Quinsy Gario in der Talkshow «Pauw en Witteman» (niederld.), in der auch Bilder seiner Verhaftung gezeigt wurden.(Quelle: Youtube/DeDaanMeer)

Todesdrohungen

Einige Stimmen, die sich in die derzeitige Volkswut mischen, geben ihm recht. «Geht doch zurück in dein eigenes Land, Neger», twitterten Sinterklaas-Fans. Ein Verein, der für arme Kinder ein Nikolausfest organisieren und 5 der 20 Pieten bunt anmalen wollte, erhielt Dutzende von Todesdrohungen. Erschrocken wurde die Idee zurück gezogen.

Nun versuchen Historiker, Nikolausvereine und Kommentatoren, die Gemüter zu beruhigen. «Die Tradition war nie in Beton gegossen», mahnt etwa die Tageszeitung «De Volkskrant». Und das «NRC Handelsblad» meldet, die Sinterklaas-Organisationen seien durchaus bereit, das Äussere des Zwarte Piet allmählich zu verändern. Ein Anfang wäre, hundert der fünfhundert Pieten ein anderes Äusseres zu verpassen, schlägt Henk Leegte vor, der Präsident des Amsterdamer Sinterklaas-Komitees.

Einst wie der Schmutzli

Seit dem Mittelalter hat sich das Fest ohnehin verändert. Wie in der Schweiz der Schmutzli hatte auch der holländische Nikolaus einst einen düsteren Gehilfen mit Rute und Sack. Erst rund 1850 machte der Schulmeister Jan Schenkemann daraus den fröhlichen Schwarzen. Inzwischen ist der «Sint» auch Medienstar. Seine Ankunft wird live im Fernsehen übertragen, und natürlich hat er eine eigene tägliche TV-Show, das «Sinterklaasjournaal».

Daran soll sich auch in diesem Jahr nichts ändern. «Zwarte Piet ist nun einmal schwarz», sagte Ministerpräsident Mark Rutte. Andere nehmen die hitzige Debatte zum Anlass, sich über die Sache lustig zu machen. So etwa der nigerianisch-britische Comedian Ikenna Azuike:

«Zwarte Piet: Your Way into Europe» (engl.)(Quelle: Youtube/IkennaAzuike)

Nur einer hat sich noch nicht eingemischt. Sinterklaas, der Chef der Pieten, hat zu tun. Er bereitet sich auf seine grosse Reise vor. Am 16. November soll sein Boot in Groningen anlegen. (dhr/sda)

Sankt Nikolaus

Der Bischof von Myra (Demre in der heutigen Türkei) ist der Schutzpatron der Kinder, Seefahrer, der reisenden Kaufleute und der Stadt Amsterdam. Im 6. Jahrhundert verbreitete sich der Kult um den mildtätigen Bischof im Byzantinischen Reich und gelangte von dort in die slawischen Länder und später auch nach Deutschland; 980 wurde dort die erste dem Nikolaus geweihte Kirche erbaut. Danach verbreitete sich der Brauch, am Gedenktag des Heiligen die Kinder zu beschenken. Erst später verlagerte sich dieser Brauch auf den Vorabend von Weihnachten.

In manchen Ländern hat das Brauchtum dem Sankt Nikolaus einen Gehilfen zur Seite gestellt, der gewissermassen die böse Seite des Heiligen personifiziert und für den nötigen Respekt sorgt. In der Schweiz ist es der Schmutzli, in Deutschland der Knecht Ruprecht, in Frankreich der Père Fouettard. Der Zwarte Piet in den Niederlanden hat sich indes seit dem 19. Jahrhundert zu einer freundlichen Figur entwickelt.

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