US-Koalition liess IS-Kämpfer abziehen

Aktualisiert

Auch Ausländer darunter?US-Koalition liess IS-Kämpfer abziehen

Eine BBC-Recherche macht glaubhaft, dass IS-Kämpfer aus Raqqa abziehen durften. Darunter sollen auch ausländische Extremisten gewesen sein.

von
sut
Angehörige der Terrormiliz Islamischer Staat beladen am 12. Oktober 2017 in Raqqa einen Reisebus.
Nach einem Bericht der BBC erlaubte die US-geführte Koalition insgesamt 4000 IS-Angehörigen, ihre deklarierte Hauptstadt Raqqa zu verlassen.
In 50 Bussen und auf 13 Lastwagen liess man auch rund 300 Kämpfer des IS abziehen.
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Angehörige der Terrormiliz Islamischer Staat beladen am 12. Oktober 2017 in Raqqa einen Reisebus.

Screen shot BBC News via YouTube

Was sich beim Fall der IS-Hochburg Raqqa in der ersten Oktoberhälfte genau abspielte, ist lange im Unklaren geblieben. Nach einer umfassenden, jetzt publizierten Recherche der britischen BBC erkaufte sich die US-geführte Koalition diesen Sieg, indem sie am 12. Oktober Kämpfer und Angehörige der Terrormiliz «Islamischer Staat» in einem Konvoi aus ihrer deklarierten Hauptstadt abziehen liess.

Der Bericht trägt den Titel «Raqqas schmutziges Geheimnis». Auf der Grundlage von Gesprächen mit Bus-Chauffeuren, Lastwagenfahrern, Ladenbesitzern und IS-Kämpfern selbst beschreibt die BBC, wie zwei Humvees einen langen Konvoi über Wüstenstrassen in Gebiete unter Kontrolle des IS führten.

Der Konvoi umfasste 50 Sattelschlepper und offene Lastwagen, 13 Reisebusse und über hundert eigene Fahrzeuge des IS. Evakuiert wurden rund 4000 Menschen, darunter um die 250 IS-Kämpfer und 3500 Familienangehörige. Laut BBC führten die Laster zudem Tonnen von Waffen und Kriegsmaterial mit.

USA bestätigen den Deal

Auf Nachfrage von Journalisten bestätigten die USA am Dienstag den BBC-Bericht in seinen Grundzügen.

Zwei Tage zuvor sei in Raqqa ein Deal abgeschlossen worden, räumte Oberst Ryan Dillon ein, der Sprecher der kombinierten Task-Force «Operation Inherent Resolve». Die nach seinen Angaben 300 IS-Kämpfer seien vor ihrem Abzug «geprüft und biometrisch erfasst» worden.

Dillon behauptet, unter den Evakuierten seien bloss vier ausländische Kämpfer identifiziert worden – und Truppen der «Demokratischen Kräften Syriens» (SDF) hätten sie festgenommen. Die Gewährsleute der BBC sprechen jedoch von vielen ausländischen IS-Terroristen: «Es gab eine riesige Zahl von Ausländern», sagt ein Lastwagenfahrer. «Leute aus Frankreich, der Türkei, Aserbaidschan, Pakistan, dem Jemen, Saudiarabien, China, Tunesien, Ägypten …»

Französische IS-Kämpfer: «Tag der Abrechnung»

Die BBC zitiert ein französisches IS-Mitglied mit Pseudonym Abu Basir al-Faransy, der es mit dem Konvoi in die vom IS gehaltene syrische Stadt Idlib geschafft hat. «Es gibt ein paar französische Brüder, die nach Frankreich gegangen sind, um an einem Tag der Abrechnung Angriffe durchzuführen», sagt Abu Basir.

Der von der Koalition bewilligte Exodus der IS-Mitglieder wird von der US-geführten Koalition damit gerechtfertigt, dass der Deal geholfen habe, die Schlacht um Raqqa zu verkürzen, und damit mehr Blutvergiessen verhindert worden sei.

Damit hätten nicht nur Zivilisten geschont werden können, sondern auch Koalitionstruppen, insbesondere die mehrheitlich kurdischen SDF-Kämpfer. Alle Abmachungen seien von den lokalen Kommandanten getroffen worden, sagte Oberst Dillon. Er gestand aber auch ein: «Ich kann nicht mit hunderprozentiger Sicherheit sagen, dass jeder einzelne Kämpfer, der aus Raqqa kam, identifiziert wurde.»

Russische «Beweisfotos»

Kritiker der westlichen Politik gegenüber dem IS sehen jedoch Verschwörung im Spiel. So hat etwa das russische Verteidigungsministerium die angebliche Zusammenarbeit zwischen dem IS und den USA mit Satellitenbildern zu belegen versucht. Allerdings stammten die Fotos der angeblichen Lastwagen nahe der syrisch-irakischen Grenze aus einem Videospiel. Das Ministerium räumte später den «Fehler» ein.

Der russische Sender RT erkennt in der Evakuation aus Raqqa den Beweis dafür, dass «die strukturelle Bewahrung von IS-Elementen in das geostrategische Kalkül der USA und deren syrischer Verbündeten passt».

Ein RT-Bericht zitiert den türkischen Politologen Ömer Özkizilcik mit dem Hinweis, die USA hätten «die entscheidende Rolle beim Entstehen des IS» gespielt.

Der Türkei ist vor allem die kurdische Beteiligung an den SDF-Kräften ein Dorn im Auge, denn Ankara sieht in den kurdischen Koalitionsmitgliedern den verlängerten Arm der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK).

In einer Mitteilung bezeichnet die türkische Regierung die von der BBC berichtete Abzugsvereinbarung für Raqqa als «erschreckend». Sie beweise, dass «bei einem Kampf zwischen terroristischen Organisationen diese terroristischen Organisationen am Ende miteinander kooperieren». Dass die Türkei im Kampf gegen den IS selbst eine zweifelhafte Rolle spielte, bleibt bei der Kritik unerwähnt.

Raqqas «geheimer Deal» (Video):

(Quelle: YouTube/BBC News)

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