US-GesundheitsreformUnbeliebter Obama – sogar Bill Clinton lässt ihn fallen
Die Gesundheitsreform wird zum politischen Desaster für den US-Präsidenten. Immer mehr Parteigenossen wenden sich ab, und Obamas Umfragewerte sind im freien Fall.

An Jahrestreffen der Clinton-Stiftung im September waren sie noch ein Herz und eine Seele. Doch über Obamacare geht Bill Clinton zu Barack Obama auf Distanz.
Betrachtet man die Reform der Krankenversicherung in den USA als riesigen Ozeandampfer, dann verlassen jetzt die ersten Ratten das sinkende Schiff. Ein politischer Bundesgenosse Barack Obamas nach dem anderen fordert Korrekturmassnahmen, weil es nicht gelingen will, die Reform zum Funktionieren zu bringen. Und immer mehr Amerikaner glauben, der Präsident habe in den vergangenen Jahren betrügerische Versprechungen gemacht - mit entsprechenden Folgen für Obamas Popularität.
Der letzte und gewichtigste Abtrünnige ist Bill Clinton. Der im Volk beliebte Ex-Präsident forderte am Dienstag Änderungen am «Affordable Care Act», wie Obamacare offiziell heisst. Und zwar sollte Leuten mit bestehender Versicherung ermöglicht werden, ihre Policen zu verlängern. «Persönlich glaube ich, dass der Präsident - selbst wenn es eine Gesetzesänderung braucht - das Versprechen der Regierung an diese Leute erfüllen soll», sagte Clinton in einem Interview. «Sie sollten behalten können, was sie haben.»
Website harzt, Zahlen sind minim
Das Versprechen, dass bestehende Versicherungen von der Reform nicht berührt werden, hatte Obama mindestens 34-mal öffentlich abgegeben. Doch seit die Reform Anfang Oktober in Kraft trat, sind Millionen von Versicherten Kündigungen ins Haus geflattert. Gleichzeitig funktioniert die Obamacare-Website praktisch nicht. Seit Anfang Oktober sind über sie nicht einmal 50'000 neue Versicherungen abgeschlossen worden - ein Zehntel der geplanten 500'000.
Clintons Wort wiegt schwer. Das politische Sondertalent, das vergangenes Jahr mit seiner Rede am Parteitag Obama eine unschätzbare Hilfe leistete, gibt anderen demokratischen Politikern den Freipass, sich auch von Obamacare zu distanzieren. Am Dienstag gesellte sich die wichtige Senatorin Dianne Feinstein aus Kalifornien zu den Kritikern. Sie habe seit Anfang September 30'842 Telefonanrufe, Briefe und E-Mails erzürnter Bürgerinnen und Bürger erhalten, von denen viele ihre Versicherung verloren hätten, sagte Feinstein. Das Reformgesetz «ist gut, aber es ist nicht perfekt», sagte sie. Deshalb unterstütze sie einen Gesetzesvorschlag, der Versicherten gestatten würde, ihre bestehende Krankenversicherung zu behalten.
Riesiger politischer Schaden droht
Clinton und Feinstein sorgen sich nicht bloss um die Betroffenen, die wegen der nicht funktionierenden Website keine neue Versicherung abschliessen können. Die demokratischen Politiker erkennen auch, dass ihrer Partei ein riesiger politischer Schaden droht.
Der Präsident bekommt die Auswirkungen bereits zu spüren. Nach einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Quinnipiac-Instituts ist sein Popularitätswert auf 39 Prozent abgesunken, den bisher niedrigsten Stand. Noch schlimmer sind die Zahlen beim Vertrauen: Anfang Oktober fanden noch 54 Prozent der Amerikaner Obama vertrauenswürdig, 41 Prozent nicht. Jetzt schätzen ihn 52 Prozent als unehrlich und nicht vertrauenswürdig ein; bloss 44 Prozent vertrauen ihm.
Gnadenfrist für Obama
Angeblich haben führende Demokraten im Kongress - von denen viele in einem Jahr wiedergewählt werden wollen - dem Präsidenten eine Frist von 72 Stunden gesetzt. Innert dieser Zeit soll Obama etwas unternehmen, damit der politische Abwärtstrend gestoppt und der Schaden begrenzt wird.
Im Bild gesprochen, verlangen sie, dass der Kapitän sein sinkendes Schiff wieder flottmacht. Doch die Frage ist offen, ob Obamacare je einen sicheren Hafen erreichen wird.