Vor diesem Mann zittert Frankreich

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Rachid KassimVor diesem Mann zittert Frankreich

Rachid Kassim, einst ein Kinderbetreuer aus Roanne, leitete von Syrien/Irak aus junge Attentäter an, die dieses Jahr in Frankreich zuschlugen.

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Rachid Kassim (29): «Frauen, Schwestern, macht weiter! Kämpft! Aber wo sind die Männer?», schrieb der Franzose gemäss Ermittlern einer der drei mutmasslichen Islamistinnen, die letzten Donnerstag verhaftet wurden. Offenbar angeleitet durch Kassim, planten sie Anschläge auf Bahnhöfe in Paris und im südlich angrenzenden Département Essonne sowie Angriffe auf Polizisten.
Larossi Abballa tötete am 13. Juni zwei Polizeiangehörige. Auch er, so zeigte sein Mobiltelefon, war ein Kontakt von Kassim.
Mit dem LKW-Anschlag von Nizza vom 14. Juli trat Kassim erstmals offen in Erscheinung: In einem Propagandavideo gratulierte er dem Attentäter Mohamed Lahouaiej Bouhlel (im Bild).
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Rachid Kassim (29): «Frauen, Schwestern, macht weiter! Kämpft! Aber wo sind die Männer?», schrieb der Franzose gemäss Ermittlern einer der drei mutmasslichen Islamistinnen, die letzten Donnerstag verhaftet wurden. Offenbar angeleitet durch Kassim, planten sie Anschläge auf Bahnhöfe in Paris und im südlich angrenzenden Département Essonne sowie Angriffe auf Polizisten.

AFP/-

Terror und Angst lassen Frankreich nicht los: Letzte Woche vereitelte die Polizei gleich zwei Anschläge in und ausserhalb Paris. Gegen die Gruppe von drei mutmasslichen Terroristinnen hat die Staatsanwaltschaft jetzt ein Verfahren eingeleitet. Sie sollen Ermittlern zufolge Anschläge auf Bahnhöfe in Paris und im südlich angrenzenden Département Essonne sowie Angriffe auf Polizisten geplant haben.

Dazu nahm die Pariser Polizei am Wochenende einen 15-Jährigen fest, der wegen Radikalisierung bereits unter Hausarrest stand. Auch ihm werfen die Ermittler vor, einen Anschlag geplant zu haben: Er hatte offenbar vor, «Ungläubige» niederzustechen und als «Märtyrer» zu sterben. Gegen den Jung-Jihadisten wurde jetzt ebenfalls ein formelles Terror-Verfahren eingeleitet.

Der 15-Jährige und die 19-Jährige Inès M., die mutmassliche Anführerin des Frauen-Trios, wurden vom gleichen Mann angeleitet: Über den verschlüsselten Messenger-Dienst Telegram standen sie laut Ermittlern alle in Kontakt mit dem Franzosen Rachid Kassim – die «graue Eminenz des Terrors», wie ihn französische Medien bezeichnen.

Priester- und Polizistenmörder angestachelt

Der Mann mit algerischen Wurzeln wohnte einst in Roanne, einer Kleinstadt nordwestlich von Lyon. Heute agiert er aus dem IS-Gebiet zwischen Syrien und Irak als Ibn Qassim heraus und betätigt sich als Rekrutierer des «Islamischen Staates». Der Fokus des ehemaligen Betreuers in einer Sozialeinrichtung für Kinder: Junge Frauen und Männer in Frankreich.

Kassim war es offenbar gelungen, via «Telegram» zwischen 200 und 300 Kontakte in Frankreich zu Anschlägen in der Heimat aufzufordern. Wie «L'Express» berichtet, habe er eine Liste von Zielen und Szenarien, wie die Angriffe auszuführen seien, mitgeliefert.

Wie gross Kassims Netzwerk in Frankreich tatsächlich ist, ist letztlich unklar. Mittlerweile steht aber fest, dass der 29-Jährige in Kontakt mit gleich mehreren Attentätern stand, die dieses Jahr zuschlugen: So gaben die Handys der beiden erschossenen IS-Anhänger Abdel-Malik Petitjean und Adel Kermiche – sie hatten im Juli in Saint-Etienne-du-Rouvary einen katholischen Priester ermordet – eine Verbindung zu ihm preis. Kassim stand offenbar auch in Kontakt zum Attentäter von Magnanville, der im Juni zwei Polizisten getötet hatte.

Mit Frau und Kind nach Syrien

Ob er auch Mohamed Lahouej Bouhlel, den Attentäter von Nizza, zu seiner Schreckenstat mit 86 Toten instruierte, ist unklar. Auf jeden Fall trat Kassim nach dem LKW-Anschlag auf der Promenade des Anglais ins Scheinwerferlicht eines IS-Propagandavideos, wo er Bouhlel ausdrücklich gratulierte und dann vor laufender Kamera zwei angebliche Spione köpfte.

Erst danach geriet Kassim wirklich in den Fokus der französischen Ermittler. Sie gehen davon aus, dass sich der 29-Jährige ohne Vorstrafen auf einer Reise nach Algerien 2011 radikalisierte – und das sehr schnell: Bereits ein Jahr später reiste er mit Frau und Kind über Ägypten nach Syrien.

Teil der IS-Terrorstrategie

Seine Spur verliert sich immer wieder, es ist vor allem seine rege Tätigkeit in den sozialen Medien, die den Ermittlern nähere Einblicke ermöglichten. Ende 2015 betrieb Kassim etwa als «Nicole Ambrosia» eine Facebookseite, die zeigte, dass er mit mehreren Jungen aus seiner Heimatstadt Roanne in Kontakt stand und zum Heiligen Krieg und zur Vernichtung Israels und Amerikas aufrief.

Auch wenn über Kassim nur Lückenhaftes bekannt ist: Seine Nutzung der sozialen Medien, die Anwerbung und Betreuung über diese illustriert jenen Teil der umfassenden Terrorstrategie, die der IS seit gut eineinhalb Jahren verfolgt: Die Anleitung zu Anschlägen kommt aus Syrien/Irak, geschieht indirekt über die sozialen Medien und verschlüsselte Messengerdienste und wird von jungen IS-Anhängern in deren Heimat ausgeführt.

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