Wie weiter, wenn der Türkei-Deal scheitert?

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Fragen und AntwortenWie weiter, wenn der Türkei-Deal scheitert?

Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei könnte ein Durchbruch sein. Ein Scheitern wäre katastrophal. Warum, lesen Sie im Q&A.

Oliver Fischer
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Oliver Fischer

In Brüssel verhandeln die EU-Mitglieder und die Türkei erneut über eine Lösung der Flüchtlingskrise. Der zur Debatte stehende Deal könnte die Situation beruhigen. Ein Scheitern der Verhandlungen würde jedoch die Lage der Flüchtlinge zwischen der türkisch-syrischen Grenze und Griechenland verschärfen und die Spannungen innerhalb der EU weiter verstärken. Und angesichts der inneren Zerstrittenheit der EU ist ein Scheitern – oder ein weiteres Verschieben des Abkommens durchaus wahrscheinlich.

Wie entwickelt sich die Flüchtlingssituation an der Grenze zur und innerhalb der EU, wenn das Abkommen nicht zustande kommt? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Q&A.

Was sieht das Abkommen vor?

Die Türkei nimmt sämtliche Flüchtlinge, die illegal nach Griechenland gereist sind, wieder zurück. Die EU nimmt dafür für jeden rückgeführten Flüchtling einen Syrer aus Camps in der Türkei direkt auf. Die Türkei verlangt dafür Visafreiheit in der EU ab Juni 2016, die Beschleunigung von Beitrittsgesprächen zur EU sowie insgesamt sechs Milliarden Euro.

Wer sitzt in den Verhandlungen am längeren Hebel?

Die Türkei bietet der EU etwas an, das diese ganz dringend braucht: eine Lösung für die Flüchtlingskrise innerhalb der EU. Aber auch die Türkei braucht die EU, denn sie ist derzeit in der Region stark isoliert, wie Gianni D'Amato, Professor für Migration und Staatsbürgerschaft an der Uni Neuenburg, gegenüber 20 Minuten erklärt. «Die Türkei hat keine sehr guten Karten.»

Woran kann der Deal scheitern?

Kritisch sind vor allem die Punkte der Visafreiheit für Türken in der EU und die Beitrittsverhandlungen. Zypern hat bereits sein Veto angedroht und andere Regierungen äussern Bedenken bezüglich Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung der Opposition. D'Amato vermutet, dass am Ende ein Deal «Geld gegen Flüchtlinge» mit weiteren Versprechungen herauskommen könnte. «Bleiben Visafreiheit und Beitrittsverhandlungen im Paket drin, glaube ich nicht an den Deal.»

Was passiert, wenn der Deal zustande kommt?

Das Abkommen sieht vor, dass die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei aufnimmt. Dafür braucht es in der EU aber eine Lösung, um die direkt aufzunehmenden Menschen aus der Türkei zu verteilen, was verschiedene Länder bisher kategorisch abgelehnt haben. Von den bereits beschlossenen Verteilungen von 160'000 Flüchtlingen wurden bis Ende Januar 414 umgesetzt.

Geht der Deal bachab, weichen die Flüchtlinge dann auf andere Wege nach Mitteleuropa aus?

Die Balkanroute kann im Osten über Bulgarien und Rumänien oder im Westen über Albanien und Italien umgangen werden. Bei beiden Optionen sind bereits Verhandlungen im Gange, diese zu schliessen, bevor die Flüchtlingsströme dort anwachsen, erklärt D'Amato.

Nimmt der Druck auf die Schweiz von Süden her dann wieder zu?

Diese Möglichkeit besteht, laut D'Amato, falls der Weg nach Italien offen bleibt. «Italien ist keine Zieldestination für die Menschen auf der Flucht.»

Wie kann es in der Flüchtlingskrise weitergehen?

Egal wie, es braucht eine gesamteuropäische Lösung. Griechenland sei ohne massive Hilfe der EU nicht in der Lage, mit den Menschenmassen klarzukommen, meint D'Amato. Eigentlich müsste das Problem sogar auf UN-Ebene angegangen werden, so der Experte. «Länder wie die USA, Kanada, Brasilien oder Australien müssten gemeinsam mit der EU und dem UNHCR an einer Lösung arbeiten.» Sonst könnte es den Syrern ergehen wie den Palästinensern: Sie leben seit Generationen ohne Perspektive und Status in Lagern.

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