USA-Experte zur Wahl«Das ist ein Votum gegen das Establishment»
Donald Trump wird US-Präsident. Wer für den Milliardär gestimmt hat und warum, erklärt USA-Experte Manfred Elsig im Interview.
Manfred Elsig, wider Erwarten und entgegen den Resultaten der meisten Umfragen haben die Amerikaner Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Warum?
Es ist ein Votum gegen das Establishment. Donald Trump hat die Battleground States gewonnen und auch Bundesstaaten, die als sicher demokratisch galten. Das Ganze ist eine grosse Sensation.
Wie konnte es so weit kommen?
In Florida hat man gesehen, wie geteilt das Land ist. Man hätte gedacht, dass es sich Trump in dem Bundesstaat mit einer grossen hispanischen Bevölkerung mit seinen Äusserungen über kriminelle Latinos und Vergewaltigungsvorwürfe verscherzt hätte. Aber mit Marco Rubio hat ein Republikaner mit hispanischen Wurzeln die Senatoren-Wahl gewonnen und die grosse kubanische Gemeinde ist traditionell eher republikanisch.
Hatte Trump am Ende die bessere Kampagne als Clinton?
Die Mehrheit hat einen Outsider gewählt, der im Wahlkampf grosse Versprechungen gemacht hat, Amerika wieder gross zu machen. Nach acht Jahren eines schwarzen Präsidenten ist Amerika anscheinend nicht für eine Frau bereit, und die Wut der Bürger hat einen Demagogen ins Weisse Haus getragen. Der Mobilisierungsgrad der Anhänger von Trump und der republikanischen Partei waren grösser als angenommen, und Hillary Clinton war für viele offenbar einfach nicht wählbar.
Gibt es weitere Gründe für dieses Resultat?
Die Wahl hängt auch mit einer Krise der Globalisierung zusammen, welche sich auch in anderen demokratischen und entwickelten Ländern zeigt. Marktliberalisierung und Automatisierung haben zu Strukturveränderungen in klassischen Industriesektoren geführt und zu steigenden Arbeitslosenzahlen. Eine beträchtliche Mittelschicht gehört nicht zu den Gewinnern der Globalisierungsprozesse.
Trump hat im Wahlkampf auch die Migrationsthematik stark bewirtschaftet. Mit ein Grund für seinen Sieg?
Das Erfolgsmodell «Einwanderungsland USA» ist in Frage gestellt. Überfremdungsängste nehmen zu. Eine Wut hat sich aufgestaut, die sich in der Wahl dann entladen hat.
Man hat angenommen, dass die grosse Mehrheit der Frauen, der Schwarzen und der Latinos für Clinton waren. Wie konnte Trump dann trotzdem gewinnen?
Clinton hat sicherlich weniger Stimmen von weissen Männern erhalten als angenommen und konnte die Schwarzen und Latinos nicht genügend mobilisieren. Frauen, die traditionell Republikaner wählen, haben sich nicht getraut, die Partei zu wechseln.
Sind die USA noch so tief rassistisch und frauenfeindlich?
Paradoxerweise konnten wir schon in den letzten Jahren vermehrt beobachten, dass ein offener Rassismus zugenommen hat und eine geheime Wahl eignet sich eher, dieser Neigung Ausdruck zu verleihen. Ein weisser Mann hätte bessere Chancen gehabt.
Ist der ‹Angry White Man› immer noch so stark, mächtig und verbreitet, dass er eine Frau als Präsidentin verhindern kann?
So sieht es aus. Viele weisse Männer fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen, von der Globalisierung abgehängt und durch Zuwanderung im gesellschaftlichen Gefüge herausgefordert.
Diese Anti-Establishment-Haltung ist auch in Europa auf dem Vormarsch.
Es ist klar, dass populistische Bewegungen wie die AfD oder der Front National den Erfolg Trumps nicht nur beklatschen, sondern sich davon inspirieren lassen. Auf der anderen Seite hat sich Trump bei seiner Kampagne selbst schon vom Brexit beeinflussen lassen. Populismus funktioniert gerade in direkten Demokratien durchaus gut. Eine weitere Parallele sind die Umfragen und Prognosen, die nach dem Brexit nun auch bei Trump fast durchs Band falsch lagen.
Wird Trump die Hoffnungen der Menschen auf Aufschwung und Jobs erfüllen können?
Trump plant die Steuern massiv zu senken zugunsten der reichsten Amerikaner. Der Service Public soll eingeschränkt werden. Die Kosten für Bildung werden für die Mittelschicht noch unerschwinglicher. Mindestlöhne bleiben tief und die Problematik der Working Poor bleibt bestehen. Die Gefahr, dass sehr viele Menschen enttäuscht sein werden, ist gross.
Wie geht es weiter für die vielen Minoritäten im Land?
Die Diffamierung von Minderheiten wird wieder hoffähig. Ein ‹Kultur- und Rassenkampf› ist in den nächsten Jahren leider nicht mehr auszuschliessen. Die USA müssen sich neu erfinden.
Das gilt auch für die Parteien, die nach dieser Wahl alles andere als einen stabilen Eindruck machen.
Die demokratische Partei muss sich neu erfinden, sich sammeln und die Wähler von ihren Zielen und Werten überzeugen. Sie wird sich jahrelang in der Opposition wiederfinden. Paradox ist, dass die intern zerstrittene republikanische Partei auf der ganzen Front gewinnt und jetzt in der totalen Verantwortung steht. Es stellt sich die Frage, ob ein republikanisch dominierter Kongress die Handlungen des Präsidenten kontrollieren kann, der sich seinerseits auf den diffusen Auftrag einer neuen Bewegung abstützt.
In seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg sprach Trump nur über die USA. Wie steht es um die internationale Zusammenarbeit?
Eine Präsidentschaft Trump bedeutet eine neue Ära der Unsicherheit für die internationale Kooperation. Die USA werden sich womöglich nach innen wenden und ihre internationale Verantwortung für Stabilität zurückfahren. Wenn dies passiert, dann könnte die Rolle der Nato geschwächt werden, Putins Expansionspolitik weiter voranschreiten und die verschiedenen regionalen Konflikte im Nahen Osten unkontrolliert weitergehen.
Und in Sachen Wirtschaft?
Trump hat bereits angekündigt, eine protektionistische Handelspolitik anzustreben, Entwicklungsgelder zu streichen, die Migrationspolitik restriktiver zu gestalten und bei der Energiepolitik die Uhr zurückzudrehen, ganz zu schweigen von der Klimaproblematik. Die Weltgemeinschaft steht in den nächsten Jahren vor einer grossen Herausforderung.
Und was hiesse das konkret für die Schweiz?
Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Schweiz sind schwierig abzuschätzen. Wenn die Administration Trump wirklich ihre Zölle unilateral erhöhen will, um die US-Industrie zu schützen, könnte dies Nachteile für das Exportland Schweiz bringen. Auch wird sich zeigen, ob es bei der extraterritorialen Anwendung des US-Steuerrechts zu Anpassungen kommt. Die Schweizer Aussenpolitik wird sich womöglich neu orientieren müssen, wenn die USA weniger in multilaterale Kooperation investiert, von der Klimapolitik bis hin zur Entwicklungspolitik.

Manfred Elsig
Professor für Internationale Beziehungen, World Trade Institute, Universität Bern