Eiskalt angelogenMoment mal, ICH habe Balotelli getroffen
Täglich erhält die Redaktion bis zu tausend MMS von Leser-Reportern. Eine kleine Minderheit versucht uns reinzulegen – aber wer bescheisst, fliegt innert Stunden auf. Wie es wirklich war.
Die hübsche Geschichte vom Leser-Reporter, der in den Ferien in Italien Fussballstar Mario Balotelli traf, macht rasch die Runde. Rund 50 000 User von 20 Minuten Online haben sie innert wenigen Stunden gelesen. Leider müssen wir Ihnen mitteilen: Nicht alles an der Geschichte stimmt.
Der Reihe nach. Um 11.20 Uhr erreicht die Redaktion ein MMS von Leser-Reporter E. (Name der Redaktion bekannt). «Balotelli im Ferrari» schreibt der 20-jährige aus dem Kanton Graubünden zum Bild, das zweifelsfrei den italienischen Nationalstürmer zeigt.
Wie immer, wenn uns ein interessantes Leser-Bild erreicht, versuchen wir zunächst den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Kann es sein, dass es sich wirklich um Balotelli handelt? Erste Antworten: Ja, es ist Sommerpause. Ja, Balotelli ist Italiener. Und ja, er hat eindeutig genügend Geld, um sich einen Ferrari zu leisten. Es ist also gut vorstellbar, dass das Foto echt ist.
Kein Grund, zu zweifeln
In einem zweiten Schritt wird abgeklärt, ob das Bild von einer Website gestohlen wurde. Ein Hilfstool sagt uns, dass dies nicht der Fall ist. Deshalb wird zum Hörer gegriffen und Leser-Reporter E. angerufen. Die nötige Portion Skepsis ist dabei, gerade Fotos von Stars werden oft als eigene verkauft, obwohl sie beispielsweise aus einem Fanforum kopiert wurden.
Doch in diesem Fall scheint die Story wahr zu sein. E. steht mit seinem Namen hin, macht Angaben zu Alter und Wohnort und will uns nicht anonym etwas andrehen. Er erzählt die Geschichte, wie er Balotelli auf der Autobahn sah, flüssig und mit vielen Details. Nachfragen beantwortet er ohne ein Äh und ohne zu stocken, kurz: Es gibt nach dem Telefon keinen Grund mehr, die Wahrheit in Frage zu stellen.
Eine journalistische Grundregel kann in diesem Fall nicht angewendet werden, nämlich eine zweite Quelle zu befragen, die den Sachverhalt bestätigt. Denn selbst wenn wir Balotellis Handynummer hätten, ist stark zu bezweifeln, ob er sich an jeden Autofahrer neben sich erinnert.
Hinters Licht geführt
So wird die Geschichte geschrieben und um 13.54 Uhr auf der Frontseite von 20 Minuten Online platziert. Es dauert genau zwei Stunden, bis das Telefon läutet. Am Hörer ist der Leser-Reporter, der Mario Balotelli wirklich gesehen hat: Edo Kapic.
Sein Bekannter E. habe die Bilder von seiner Facebook-Seite gestohlen, sie zugeschnitten und uns geschickt, erzählt Kapic. Auf dem echten Foto sei nicht bloss ein Finger – sein Finger – zu sehen, sondern auch noch sein Kopf, den E. weggeschnitten habe.
Zum Beweis mailt uns Edo Kapic das Originalbild und tatsächlich sieht man darauf seinen Kopf. E. hat 20 Minuten Online und zehntausende User also bewusst angelogen. «Es war wirklich nicht meine Absicht, jemanden zu täuschen», gibt er kleinlaut von sich, als wir ihn zur Rede stellen.
Offenbar wird ihm bewusst, dass er Mist gebaut hat. Er versucht, sich herauszureden. «Ich wollte meine Kollegen damit überraschen. Hätte ich mit dem Geld die Belohnung von 1000 Franken für den Leser-Reporter des Monats erhalten, hätten wir es untereinander aufteilen können.» Das sei «wirklich, wirklich, wirklich» seine Absicht gewesen, versichert er.
Wie es wirklich war
Die aufgetischte Geschichte klingt gut – die wahre ist es ebenfalls. Edo Kapic befindet sich am Samstagnachmittag rund 150 Kilometer von Mailand entfernt, als vor ihm ein roter Ferrari und ein weisser Mercedes AMG fahren.
«Wir waren zu viert unterwegs, ein Bruder meiner Frau sass auf dem Beifahrersitz», erzählt Kapic. «Als wir den Mercedes überholt hatten, sah er den Ferrari-Fahrer und sagte ‹hey, der hat eine Senffrisur wie Balotelli.›» Er sei rechts auf die gleiche Höhe gefahren und tatsächlich sei der Fussballstar am Steuer gesessen.
Offenbar hat der Stürmer von Manchester City Lust, aufs Gaspedal zu treten. «Mit einer Geste hat er mich aufgefordert, etwas schneller zu fahren», so Kapic, vom Superstar zum Rennen aufgefordert. Dazu kommt es aber nicht, «denn mein BMW M5 ist zwar schnell, aber gegen den Ferrari chancenlos.»
Fairplay trotz Lüge
20 Minuten Online könnte E. mit vollem Namen hinstellen und ihn als Lügner brandmarken. Doch wir wollen das Leben des jungen Mannes nicht kaputt machen. Bei Kapic hat er sich bereits entschuldigt, was dieser bestätigt.
«Ich sehe meinen Fehler ein», bereut E., «ich habe Mist gebaut». Zum Abschluss sagt er dem Redaktor tröstend: «Es tut mir leid. So wie ich es Ihnen erzählt habe, wäre ich auch auf meine Geschichte hereingefallen.»