Game-TippWarum ich «Crysis 3» trotzdem spiele
Der Egoshooter «Crysis 3» polarisiert: Von grottenschlecht bis brillant reicht das Spektrum der Kritik. Unser Gameredaktor findet: Das Spiel ist gut fürs Hirn.
Jetzt kann ich es ja zugeben: Als ich «Crysis 3» zum ersten Mal einlegte, hatte ich meine Bedenken. Dazu eine kurze Rückblende: Mit dem Spiel «Far Cry» ist der deutsch-türkische «Crysis-Entwickler» Crytek 2004 auf dem PC-Spielfeld eingeschlagen wie ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss aus der Waffe eines Elitesoldaten – das Game hat einen immensen Eindruck hinterlassen. Daraufhin erfand Crytek den nächsten Kracher: «Crysis» - ein weiterer Geniestreich, was Grafik, Spielgeschwindigkeit und Spielbalance betraf. Mit «Crysis 2» konnte Crytek zwar in Sachen Glanz und Glorie nachdoppeln, aber richtig Freude hatte ich daran nicht; ich legte den Egoshooter nach einem Viertel der Spielzeit zur Seite.
Schöne Hülle mit Inhalt
Würde auch «Crysis 3» mehr Schein als Sein sein und mir mit schöner Hülle um ein leeres Gefäss nur ein Trugbild vorsetzen? Zu Beginn sieht es tatsächlich so aus: Ich erlebe eine hanebüchene Story um eine Alienrasse, die zwar ausgelöscht scheint, es dann aber doch nicht ist. Spiele einen Helden namens Prophet, der dank einem Nanosuit bereits zu Beginn über so viele übermenschliche Kräfte verfügt, dass er kaum zu besiegen ist. Höre Dritt-Figuren, die so hohle Drohungen wie «Wenn ich die Bastarde finde, die dies getan haben, bring ich sie verdammt noch mal um» über die Lippen bringen – notabene nachdem sie bereits ganze Armeen ausradiert haben. Das sind nicht die Zutaten, die mir ein Gamesüppchen schmackhaft machen.
Aber dann tauche ich tiefer ins Spiel ein. Sehe ein in einen Dschungel verwandeltes New York, das mir den Atem verschlägt. Bewege mich mit Prophet durch sich wiegende Gräser, mache mich mit dem Nanosuit unsichtbar, um mich möglichst nah an die Feinde zu schleichen. Ich wechsle in den Rüstungsmodus, um ihrem Gegenfeuer zu widerstehen. Ich schalte Stück um Stück die Bastarde aus, über die mein Begleiter sich eben noch in breitestem britischem Slang beschwert hat. Und ich merke, wie mir «Crysis 3» Spass zu machen beginnt.
Stealthgame statt Shooter
Zugegeben, das Game ist zu einfach. Eigentlich genügt es, die virtuelle Tarnkappe überzustülpen und schon stehen die Feinde, von denen ich gerade noch beharkt wurde, im Feld wie eine Herde hohler Schafe. Viele Waffeneinstellungen, die das Game ermöglicht, sind reine Spielerei: Ob ich den Pfeilbogen stärker spanne, um mehr Wucht zu erhalten, oder leichter, um die Pfeile in schnellerer Folge abzufeuern, macht keinen Unterschied.
Dennoch sind es gerade Bogen und Tarnkappe, die mich bei der Stange halten. «Crysis 3» wirkt nicht, weil es blindwütigen Ballerspass bietet, sondern weil ich es durchwegs als Stealthgame spielen kann. Auf spielerische Weise kann ich das taktische Vorgehen austüfteln. Das bei Fehlern auch mein Held bisweilen das Zeitliche segnet, erhöht den Spielspass, ohne dass ich vor unüberwindbaren Hürden stehe. Dass die Jagd in einer der grafisch eindrücklichsten Spielwelten stattfindet, motiviert zum Verweilen.
Fazit: Gut fürs Hirn
Ich ertappe mich dabei wie ich, anders als beim Vorgänger, immer wieder in die archaische Welt von «Crysis 3» zurückzukehren will, um spielend ein paar Stunden totzuschlagen – ohne dabei grössere intellektuelle Leistungen vollbringen zu müssen, aber auch ohne nur dumpfbackig Löcher in die Gegner zu stanzen. «Crysis 3» hält quasi Hirnstamm und Frontallappen des Gehirns in idealer Balance. Was will ich mehr von einem dritten Teil?
Jan Graber
verschob die ersten Gamepixel mit «Space Invaders», «Leisure Suit Larry» und «Kings Quest»; mit «System Shock» und «Rebel Assault» entdeckte er sein Flair für Actiongames. Momentan zockt er «Tomb Raider» und freut sich auf «Bioshock: Infinite» und ntelligentes Futter wie «Beyond Two Souls».