Sind Spiele Kunst?PC-Games sollen Kunst sein? Wohl eher Kitsch!
Game-Entwickler wollen, dass ihr Handwerk als Kunst anerkannt wird. Sie erhoffen sich Zugang zu den Töpfen der Kultur-Subvention. Doch Pseudo-Arty-Games sind noch lange keine Kunstwerke.
«Games sind Kitsch». Zu diesem provokativen Schluss kam der amerikanische Game-Professor Brian Moriarty in einer Rede, die er im Frühling 2011 in San Francisco hielt. Brisant: Die Zuhörer waren nicht Studenten, sondern die Crème de la Crème der Spieleentwickler-Gilde.
Für die Amerikaner sind Games Kunst
Moriartys schonungslose Aussage traf einen wunden Punkt. Sind Games Kunst? Zumindest die Nationale Stiftung für die Künste in den USA sieht es so: Im Mai 2011 erklärte sie Videospiele zur Kunstform und - jetzt wirds wichtig - öffnete damit die Töpfe zur finanziellen Förderung. Dies sofern die Games einem künstlerischen Anspruch genügen.
Bedeutung hat die Kunst-Frage auch für die Schweiz: Derzeit wird um die Fördergelder der Pro Helvetia gefeilscht. Besonders das Gameförderprogramm GameCulture steht im Schussfeld und wird von der Vereinigung der Kulturschaffenden, der Suisseculture, kritisiert. Allerdings wird von der Vereinigung nicht der kulturelle Wert von Games per se in Frage gestellt, sondern die Form der Förderung. Trotzdem ist in der Kritik auch die Frage nach dem künstlerischen Wert von Spielen enthalten.
Parasitäre Kunst?
Bedenklich muten in diesem Zusammenhang die Beiträge an, mit denen der kürzlich auf 20 Minuten Online publizierte Artikel über den Angriff der Suisseculture auf den Verband der Game-Entwickler kommentiert wurde.
Als «Maden im Speck» wurden Künstler und Spiele-Produzenten pauschal bezeichnet. Mit Steuergeldern würden Künstler, die man eh nicht verstehe, durchgefüttert, hiess es. Was den Ansprüchen eines Marktes nicht genüge, habe sowieso keine Existenzberechtigung. Fazit: Kunst sei parasitär und - falls kommerziell nicht erfolgreich - überflüssig.
Kommentare dieser Art sind nicht nur verfehlt, sondern beruhen auf einer erschreckenden Kurzsicht. Kein Mensch mit halbwegs garem Verstand kann ernsthaft in Frage stellen, dass Kunst und Kultur die Hefe sind, die uns die geistigen Brötchen der Gesellschaft backen lassen. Ohne Kunst keine Erkenntnis, kein Fortschritt, keine Demokratie, keine soziale Gerechtigkeit.
Alle Errungenschaften, die unser Leben sicherer, bequemer und aufgeklärter machen, beruhen letztlich auch auf den Werken von Kunst und Philosophie. Dass sie von vielen zunächst als unverständlich empfunden werden, liegt in der Natur des Menschen – in seinem Vertrauen aufs Gewohnte und Bekannte. «Subtile Kunst ist fragil», sagt der Game-Professor Moriarty. Sie existiere zwischen den Details.
«Games sind Kitsch»
Von der Kunst den Bückling vor wirtschaftlichen Zwängen zu fordern, schiesst ebenso daneben. Gerade im Ausloten des Unbekannten und Beunruhigenden liegt eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst. Damit lassen sich zunächst aber kaum die Massen erreichen.
Games entsprechen diesen Prinzipien derzeit (noch) nicht. Selbst Spiele wie «Shadow of the Colossus», «Okami» oder «Flower», die bisweilen als Kunst bezeichnet werden, bedienen sich höchstens künstlerischer Elemente (siehe Bildstrecke).
Einen ungewohnten oder beunruhigenden Blick auf die Welt schaffen sie nicht. Videospiele sind zudem, egal ob von grossen Publishern oder Indie-Unternehmen, Produkte einer Industrie: Geld, Ideen und Arbeitskraft wird investiert in ein Produkt, das x-fach kopiert zum Verkauf steht - ähnlich wie schöne Postkarten.
René Bauer, Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) hat diesbezüglich eine klare Meinung: «Die meisten Pseudo-Arty-Games sind auf Kunst gemachte und gut designte, an spezifischen Kunden angepasste Games.»
Da das investierte Geld wieder eingespielt werden soll, müssen Games allgemein gültige Erwartungen erfüllen: Sie müssen für viele Menschen verständlich funktionieren und grafisch den Geschmack der Masse treffen. Sie sind, um Moriarty erneut zu zitieren, Kitsch. «Das letzte, was Kitsch will, ist herausfordern», sagt der Professor.
Auch Kitsch kann kulturelle wertvoll sein
Moriarty spricht Kitsch seine Bedeutung jedoch nicht ab: «Kitsch kann brillant ausgeführt, wunderbar unterhaltsam und kulturell signifikant sein», führt er in seiner Rede aus. Selbst zwei der wichtigsten je geschaffenen Spiele, Schach und Go, habe niemand je für Kunst erklärt. Wieso also sollten es Videospiele sein?
Der Aufhänger liegt jedoch im Ausdruck «kulturell signifikant». Zudem trägt die Spielentwicklung von Natur aus das kreative Gen in sich – der Voraussetzung für Kunst.
Die derzeitige Diskussion kann auch als Weckruf verstanden werden: An die Künstler, sich dem neuen Medium anzunehmen und damit Kunstwerke zu schaffen. Aber auch an die Game-Entwickler, den Mut zu finden, den wirtschaftsorientierten Weg zu verlassen und sich nicht nur oberflächlich aufs beunruhigende Feld der Künste zu begeben.

Game-Professor Brian Moriarty im Interview
Der Amerikaner Brian Moriarty ist Professor of Practice in Game Design am Worcester Polytechnic Institute in Worcester, Massachusetts. Für das Gameentwickler-Studio Infocom arbeitete er an mit Preisen ausgezeichneten interaktiven Romanen wie «Wishbringer» (1986), «Trinity» (1986) und «Beyond Zork» (1987) mit.
Imitieren Spiele Kunst nur?
Digitale Spiele befassen sich zuvorderst mit der Präsentation weitaus am meisten Geld fliesst bei der Herstellung ins Kreieren von Grafik und Sound. Man sollte Spiele deshalb auch ihrem Zweck entsprechend bewerten. Der Zweck der meisten Spiele liegt im Verkaufen von dem, was die Leute bereits kennen.
Kennen Sie Künstler, die Spiele geschaffen haben?
Ich kenne Einige, die Wahrheit und Schönheit ernsthaft mittels des digitalen Mediums Games zu erforschen suchen. Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Games nur eine Ablenkung sind, ein einfacher Weg, um die digitalen Medien auszuloten. Vielleicht sind Games aber ein Sprungbrett zu atemberaubenden, neuen digitalen Kunstformen.
Wieso wollen Gameentwickler, dass ihre Werke als Kunst betrachtet werden?
Jedermann will, dass man sich an ihn erinnert.
Wünschen Sie sich als Professor für Games, Ihre Studenten würden Kunstgames schaffen?
Nichts würde mich mehr freuen. (jag)