Gamer sollen für Kriegsverbrechen büssen

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Digitales FadenkreuzGamer sollen für Kriegsverbrechen büssen

Wer in Games foltert oder Zivilisten erschiesst, soll digital bestraft werden. Dies fordert das Rote Kreuz. Ein Schweizer Game-Entwickler hat eine geteilte Meinung zum Thema.

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Videospiele orientieren sich - auch dank des technischen Fortschritts - immer mehr an der Realität der asymmetrischen Kriegsführung: Ultra-realistische Explosionen, verstümmelte Soldaten oder Folter und Angriffe auf zivile Einrichtungen sind Teil von Spielserien wie «Call of Duty», «Medal of Honor» oder «Battlefield».

Mit einem Unterschied: Eingestürzte Häuser sind nicht real und Kugeln hageln nur virtuell übers Schlachtfeld. Wer sich wie ein Berserker verhält, seine Kameraden erschiesst oder am Kampf unbeteiligte Personen tötet, kommt meist ohne Strafe davon. Doch was wäre, wenn die Handlungen im digitalen Krieg nicht ohne (virtuelle) Folgen bleiben würden?

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) sorgt derzeit mit einer aussergewöhnlichen Aufforderung an Spielentwickler für Furore. «Videospiele sollen noch näher an die Realität heranrücken. Deshalb soll auch das humanitäre Völkerrecht mit den Regeln und Gesetzen eines bewaffneten Konflikts in Spielen zur Anwendung kommen», sagt François Sénéchaud vom IKRK in einem Interview mit dem TV-Sender BBC.

Schon 1987 ein Thema

Diese Thematik sei nicht neu, sagt René Bauer Dozent für Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste. «Bereits 1987 haben sich die Schweizer Entwickler des Spiels ‹War Heli› mit solchen Fragen beschäftigt», sagt Bauer. In diesem Game wurde der Highscore automatisch auf Null zurückgesetzt, wenn man bewusst oder aus Versehen einen Krankenwagen abgeschossen hatte.

Dass sich nun das Rote Kreuz zur Thematik äussert, findet er interessant. «Es zeigt aber auch, dass das IKRK die Gameindustrie und ihre Produkte als meinungs- und wertebildend wahrnimmt», so Bauer.

Kriegsspiele haben nur wenig mit der Realität zu tun

Die Forderung müsse man differenziert beurteilen. Einerseits könne er die moralischen Bedenken, wenn etwa virtuell auf Zivilisten geschossen wird, absolut nachvollziehen. Andererseits dürfe man aber auch den Spielherstellern nicht ihre Freiheit bei der Entwicklung nehmen.

Das Hauptproblem der IKRK-Forderung sieht er in der sozialen Wahrnehmung von Kriegsspielen generell. Viele Entwickler priesen ihre Shooter zwar als realistisch an, die meisten Games seien aber weit davon entfernt, auch wenn sie zum Beispiel die Umwelt oder Explosionen realistisch darstellen. «Ein Panzergrenadier etwa überlebt in einem realen Kampf im Schnitt nur 35 Sekunden - das hat nichts mit einem Kriegsspiel zu tun», sagt Bauer.

Der Dozent hat das Thema selbst mit einem Kunstprojekt aufgegriffen. In seinem Shooter «Laichenberg» bleiben getötete Personen auf der virtuellen Karte liegen und verschwinden nicht wie bei anderen Shootern nach einer gewissen Zeit. Innerhalb kurzer Zeit wird damit der Speicher zugemüllt, worauf das Spiel abstürzt.

«Soll keine Moralkeule sein»

Das Rote Kreuz sorgt sich, «dass bestimmte Spielszenarien zu einer Bagatellisierung von ernsthaften Verletzungen des Kriegsrechts führen könnten», wie auf der offiziellen Webseite ausgeführt wird. Bernard Barrett, ein weiterer Sprecher des IKRK betont gegenüber der Webseite «Metro», dass es nicht um eine generelle Debatte um Gewalt oder um Verbote gehe und sich die Forderung nicht auf Games beziehe, die in einer Fantasy- oder Science-Fiction-Welt spielten.

«Wir wollen die Spiele nicht langweilig machen oder die Moralkeule schwingen», sagt Barrett. Es sei aber wichtig, Gamer zu sensibilisieren, da täglich Millionen von Menschen digitale Kriege führten. Denn: Für reale bewaffnete Konflikte würden bestimmte Regeln gelten. «Die Spieler sollen realisieren, dass gewisse Handlungen im Krieg illegal sind». Solange das Kriegsrecht nicht in Games gelte, bestehe darum die Gefahr, dass Verstösse gegen dieses Recht auch in der Realität eher als akzeptabel angesehen würden.

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