Junge Männer laufen nicht wegen Video-Games Amok

Aktualisiert

Studie behauptetJunge Männer laufen nicht wegen Video-Games Amok

Die «Washington Post» hat errechnet, was uns der gesunde Menschenverstand längst sagt: In Ländern mit mehr Videospielern gibt es nicht mehr Amokläufe – im Gegenteil.

von
Oliver Wietlisbach

Es ist ein Reflex und er kommt so sicher wie das Amen in der Kirche: Nach jedem Amoklauf eines Jugendlichen geht die Jagd nach den Schuldigen los – nicht anders war es nach der jüngsten Tragödie mit 27 Toten an einer Primarschule in den USA. Die Gesellschaft braucht einen Sündenbock und die Medien und Politiker sind rasch mit Erklärungen zur Stelle. Dabei werden Videospiele oft in einem Atemzug mit der Waffenindustrie genannt.

Das britische Boulevardblatt «The Sun» titelt in der heutigen Ausgabe «Die Call-of-Duty-Obsession des Killers». Der Amokläufer Adam Lanza soll ein fanatischer Videospieler gewesen sein, der «stundenlang blutrünstige Computer-Games wie Call of Duty gespielt» habe.

Auch für den konservativen TV-Sender Fox News sind nicht Schusswaffen das Problem, sondern gewalttätige Games. Ins gleiche Horn bläst Barack Obamas Wahlberater David Axelrod, der auf Twitter über Werbung für Actiongames lamentiert.

Welcher junge Mann spielt keine Actiongames?

Doch haben Gewaltspiele tatsächlich eine Mitschuld an Amokläufen? Vordergründig liegt der Verdacht nahe: Ein Blick auf die Chronik jugendlicher Amokläufe an Schulen zeigt, dass die Täter in aller Regel junge Männer waren, die in ihrer Freizeit Videospiele spielten. Die Gegenfrage lautet: Welcher männliche Jugendliche spielt keine PC- oder Konsolenspiele? Oder welcher junge Mann schaut keine Gewaltfilme?

Games im Besitz Jugendlicher sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Bei einem Amokläufer keine Videospiele zu finden, wäre folglich eine Überraschung. Die Statistik haben die Videospiele-Gegner auf jeden Fall nicht auf ihrer Seite. Einer Armada von Ego-Shooter-Spielern stehen vereinzelte Amokläufer gegenüber. Ist die Gamer-Schelte also Humbug? Die «Washington Post» wollte es genau wissen und hat nachgerechnet. Sie hat die zehn Länder mit den höchsten Pro-Kopf-Ausgaben für Videospiele mit der Anzahl Waffenopfer in den entsprechenden Ländern verglichen und kommt zum Schluss: Es gibt «keine offensichtliche Verbindung zwischen dem Konsum von Videogames und Tötungsdelikten durch Schusswaffen».

Zwar geben US-Amerikaner jährlich mehrere Milliarden Dollar für Games aus und die USA weist die mit Abstand höchste Rate an Schusswaffen-Opfern in der entwickelten Welt auf. Aber Länder wie Südkorea oder Holland geben pro Kopf noch weit mehr für Videogames aus, haben aber weit weniger Mordopfer durch Schusswaffen zu beklagen. Viele Gamer scheinen also ein Land nicht gewalttätiger zu machen.

Zusammenhang zwischen Games und Gewalt bleibt nebulös

Den oft gehörten Zusammenhang zwischen Videospielen und Amokläufen wird auch die Statistik der «Washington Post» nicht aus der Welt räumen. Die Zeitung vergleicht die Ausgaben für Videospiele nicht spezifisch mit der Anzahl jugendlicher Amokläufer, sondern allgemein mit der Anzahl Tötungsdelikte durch Schusswaffen. Die Zahl der Mordopfer durch Schusswaffen in einem Land ist aber von mehreren Faktoren abhängig. Vermutlich auch von der Verfügbarkeit von Waffen, die in den USA besonders hoch ist. Ein direkter Zusammenhang zwischen Videospielen und realer Gewalt könnte daher nur ermittelt werden, wenn man wüsste, welche anderen Faktoren welchen Einfluss ausüben.

Auch die Wissenschaft hat keine abschliessende Antwort auf Lager, ob Videospiele in Verbindung mit Amokläufen stehen. Trotz unzähliger Studien konnte nie ein direkter Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und Amokläufen nachgewiesen werden.

Gemäss aktuellem Forschungsstand haben Gewaltspiele auf Jugendliche, die in einem intakten Umfeld leben, kaum einen negativen Einfluss. «Eine generelle Gefährdung Heranwachsender durch den Konsum von Gewaltdarstellungen in neuen Medien muss aus wissenschaftlicher Sicht als kaum existent angesehen werden.» Zu diesem Schluss kommt der Expertenbericht des Bundesamtes für Sozialversicherungen.

Etwas anders sieht dies aus bei Jugendlichen, die bereits Probleme haben. Mehrere Studien konnten bei jungen Männern, die oft brutale Games spielen, eine Abstumpfung gegenüber Gewalt und den Folgen für die Opfer ausmachen. Der Mangel an Einfühlungsvermögen und Mitleid muss sich nicht in Gewalt äussern, erschwert aber die zwischenmenschlichen Beziehungen der Betroffenen.

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