Gamen mit KöpfchenDas Spiel «Brainrunners» steuert man mit Gedanken
Ein von der ZHdK entwickeltes Serious Game wird allein per Hirnaktivität gesteuert. Mit Telekinese hat das nichts zu tun, wie ein Test zeigt.
René Bauer und Anna Martin-Niedecken verraten, was sie mit «Brainrunners» und der Forschung dazu bezwecken wollen.
Zunächst einmal passiert überhaupt nichts. Der Zeiger, der den Grad meiner Konzentration anzeigen sollte, ruckelt lustlos am untersten Ende der Skala herum. Ich versuche, das Wort Eiffelturm rückwärts zu buchstabieren: M – R – U … – dann ein kleiner Ausschlag, der Zeiger steigt. Nicht genug aber, um meine Spielfigur schneller voranzutreiben.
«Versuch es mit Rechnen», sagt René Bauer, Leiter der Spezialisierung Game Design im Masterstudium und Forscher an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Plötzlich funktioniert es, der Zeiger schnellt hoch, meine Spielfigur spurtet vorwärts.
Gedankenkraft statt Gamepad
Das Besondere an «Brainrunners»: Das Game wird nicht von Hand, sondern mittels eines Headsets mit drei Sensoren allein durch die Kraft der Gedanken gesteuert. Was Bauer aber sofort richtigstellt: «Nicht die Gedanken steuern das Game, sondern die Aktivitäten im Hirn.» Das Headset misst lediglich magnetische Gehirnimpulse.
Woran konkret gedacht wird, spielt keine Rolle. Abwechslungsweise wird die Spielfigur etwa durch Konzentration und Entspannung gesteuert. Es ist egal, ob ich mein Hirn mit Gedanken an eine Blumenwiese, an eine blanke Fläche oder gar an nichts beruhige. Hauptsache, es werden andere Impulse ausgelöst.
Spielflow durch Ablenkung?
Mittlerweile habe ich meine Spielfigur etwas besser im Griff – rechnen hilft bei der Konzentration. Mit der Entspannung klappt es hingegen weniger gut, interessanterweise aber am besten, wenn Bauer oder seine Forschungskollegin Anna Martin-Niedecken sprechen und ich dadurch abgelenkt werde.
Genau dem wollen Bauer und Martin-Niedecken sowie Ulrich Götz, Leiter Bereich Fachrichtung Game Design, nachgehen. Dazu treten Gruppen von jeweils vier Studenten gegeneinander in «Brainrunners» an. Einmal, während die restlichen Studenten im Hintergrund Lärm veranstalten, das zweite Mal, wenn es still ist. Danach werden Fragebogen ausgefüllt. «Wir wollen herausfinden, wie verschiedene Settings die Spielerfahrung beeinflussen», sagt Martin-Niedecken.
Mit Snappables kommen verschiedene Mini-Games auf das Smartphone, die man mit dem Gesicht steuert. Zusätzlich kann man auch gegen Freunde antreten.
Der Gedanke allein reicht nicht
Wird der Spielflow durch den Lärm gestört oder werden die Spieler im Gegenteil beflügelt? «Die Leute entwickeln zur Steuerung verschiedene Strategien», erklärt die Game-Forscherin. Manche würden sich auf die Schenkel klopfen oder die Augen schliessen, andere stellen sich, wie ich, Rechenaufgaben vor oder denken an Blumen im Sonnenuntergang.
Das langfristige Ziel von «Brainrunners» ist indes ernsterer Natur. Mittels Hirnströmen sollen Nutzer eines Tages einen Rollstuhl bedienen können. Dazu reichen die simplen Headsets mit drei Berührungspunkten, mit denen die aktuellen Tests durchgeführt werden, jedoch nicht aus. Ein volles Headset besteht derzeit aus über 30 Sensoren, die über den ganzen Kopf angebracht werden. «Es wird allerdings noch Jahre dauern, bis sich ein Rollstuhl über Hirnimpulse bis ins Detail steuern lässt», sagt Bauer.
Nach heutigem Wissensstand werde es wohl kaum je möglich sein, beispielsweise eine Linkskurve allein mit dem Gedanken «links fahren» auszulösen. Vorstellbar sei aber, dass sich Games eines Tages rein übers Hirn steuern lassen.
Meine Spielfigur hat inzwischen mit Ach und Krach die Ziellinie überschritten und ich habe einen Einblick erhalten, wie weit der Weg noch sein wird, bis rein mit Hirnaktivitäten gezielt Dinge bewegt werden können. Doch der Weg ist bekanntlich das Ziel.

Am Cybathlon entstanden
«Brainrunners» wurde 2016 anlässlich des ersten Cybathlons, der durch die ETH veranstaltet wurde, entwickelt. Am Cybathlon traten Menschen mit starken körperlichen Behinderungen gegeneinander an. Mit unterschiedlichen technischen Hilfsmitteln massen sie sich darin, Hindernisse zu überwinden, bewiesen mit modernsten Prothesen ihre Geschicklichkeit, navigierten mit Exoskeletten durch Parcours und veranstalteten mit «Brainrunners» virtuelle Wettrennen. Der nächste Cybathlon soll 2020 durchgeführt werden.